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sammelten Fürsten zu, vor ihnen die Ansprache, die er in der Rechten hielt, zu
verlesen. Wenn er dabei auch dem Saale halb den Rücken zuwenden mußte,
so verlas er die folgenden Worte doch mit so fester, lauter Stimme, daß sie
bis in die entferntesten Winkel des großen Saales deutlich vernehmbar
waren: 5
„Durchlauchtigste Fürsten und Bundesgenossen!
In Gemeinschaft mit der Gesamtheit der Deutschen Fürsten und Freien
Städte haben Sie sich der von des Königs von Bayern Majestät an Mich
gerichteten Aufforderung angeschlossen, mit Wiederherstellung des Deutschen
Reiches die Deutsche Kaiserwürde für Mich und Meine Nachfolger an der 10
Krone Preußens zu übernehmen. Ich habe Ihnen, durchlauchtigste Fürsten,
und Meinen cmberrt hohen Bundesgenossen bereits schriftlich Meinen Dank
für das Mir kundgegebene Vertrauen und Meinen Entschluß ausgesprochen,
Ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Diesen Entschluß habe Ich gefaßt iit
der Hoffnung, daß es Mir, unter Gottes Beistände, gelingen werde, die mit 15
der Kaiserlichen Würde verbundenen Pflichten zum Segeu Deutschlands zu
erfüllen. Dem Deutschen Volke gebe Ich Meinen Entschluß durch eine heute
von Mir erlassene Proklamation kund, zu deren Verlesung Ich Meinen
Kanzler auffordere."
Graf Bismarck trat näher an die Stufen des Hochtritts; aller Augen 20
waren nun auf ihn gerichtet. Er trug den blauen Waflenrock der Magde¬
burger Kürassiere mit den Abzeichen eines Generalleutnants, zu welcher
Würde er am heutigen Tage befördert worden war, darüber das Orangeband
des Schwarzen Adlerordens, dazu hohe Reiterstiefel. Mit der Siitfcu umfaßte
er die Spitze seines Kürassierhelms, in der Rechter: hielt er die Urkunde, 25
deren Pergament er nach tiefer Verbeugung gegen seinen königlichen Herrn
entrollte, und deren Wortlaut er, immer dem Könige zugewendet, mit kräf¬
tiger, ausdrucksvoller Stimme also verlas:
„An das deutsche Volk!
Wir Wilhelm, 30
von Gottes Gnaden König von Preußen,
nachdem die Deutschen Fürsten und Freien Städte den einmütigen Ruf an
Uns gerichtet haben, mit Herstellung des. Deutschen Reiches die seit mehr
denn 60 Jahren ruhende Deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu über-
nehmen, undnachdem in der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechen- 35
den Bestimmungen vorgesehen sind, bekunden hiermit, daß Wir es als eine
Pflicht gegen das gemeinsame Vaterland betrachtet haben, diesem Rufe der
verbündeten Deutschen Fürsten und Städte Folge zu leisten und die Deutsche
Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger
an der Krone Preußens fortan den Kaiserlichen Titel in allen Unsern Be- 40
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