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Wagen zu erwarten. Das Wetter hatte sich aufgeklärt, mit lichtem Sonnen¬
schein begrüßte ihn der Himmel. Hier tnt Schloßhofe standen gegenüber dem
Portal nicht nur die Ehrenwache, nicht nur zahreiche Offiziere, Beamte des
Heeres und Hofes, sondern wer von Deutschen im Liebesdienst für die Armee
5 in Versailles sich aufhielt und von der Feier Nachricht erhalten hatte, war
hierher geeilt, dem Deutschen Kaiser den ersten Gruß zu bieten. Sie hatten
draußen dennoch an der Feier teilgenommen: irr dem Augenblicke, da der
Großherzog vorr Baden seine Worte an die Versammlung richtete, war die
Königsflagge von der Zinne des Schlosses niedergeholt und zürn erstenmal
10 die schwarz-weiß-rote, bisher norddeutsche, nun deutsche Fahne gehißt worden;
das brauserrde Hoch war aus dem Saale bis irr den Schloßhof gedrungen.
Währerrd die Wache präsentierte rrrrd die Militärs salutierten, errtblößte das
Publikum ehrerbietig das Haupt. Eberr trat der Kronprinz mit lebhafter
Bewegung hinter seinen Vater, alle Fürsten sammelten sich hinter ihnen:
15 dieser Anblick entfachte die Begeisterung aller Arrweserrderr zrr einem brausen¬
den Hoch. Es setzte sich fort aus derr dichten Reihen der auf der Avenue de
Paris des Kaisers harrenden Soldaten, bis ihm, als der Wagen in den Vorhof
der Präfektur einbog, auch zuletzt noch jeut Regiment, dessen zweites Bataillon
die Garnisonwachen bezogen hatte, den Ehrengruß bot.
20 Dem deutschen Heere gab der Kaiser Kunde von den: Ereignis dieses
Tages durch einen Armeebefehl, der, vor der Feier versendet, bei vielen
Truppen schon auf einem während der Feststunde abgehaltenen Appell verlesen
und überall mit dreifachen: Hurra ans den Kaiser begrüßt wurde.
Der Krieg, die Tapferkeit und die Siege des Heeres hatten, so verkündete
25 hier der Kriegsherr, die Einigung Deutschlands beschleunigt, diesen Wunsch
des Volkes zur Erfüllung gebracht. Seit der erste Napvleon vom deutschen
Boden verjagt war und unsere Truppen in Paris siegreich eingezogen waren,
hatte immer mächtiger die Sehnsucht nach der Einigung zum Deutschen Reich
unter Deutschem Kaiser die Herzen erfüllt und erhoben. Deutsche Geschichts-
30 sorschung lntb deutsche Sprachwissenschaft hatten dem Volke das Bewußtsei::
seiner Größe und Würde gegeben; in der Wiederherstellung ehrwürdiger Bau¬
werke, des Kölner Don:s und der Marienburg, hatte sich das Nationalgesühl
zuerst betätigt. Diese Vaterlandsliebe, die Wissenschaft und Kunst in: Gemüte
unseres Volkes gepflegt, und die Wehrkraft, die weise Regierungen durch vor-
35 sorgliche Einrichtungen gestärkt hatten: sie befähigten uns, den begehrlichen
Feind von neuem niederzuwerfen und die Wiedererrichtung des Reiches zu
erwirken. In unablässiger Arbeit, in langem Harren und Hoffen war die
Volkskrast allmählich gereift; zuweilen hatte es in der Spaltung und dem
Hader der Stämme und Stände geschienen, als sei das Ziel verloren und
40 unerreichbar. Aber man täusche sich nicht über deutsche Art: ihr ist es fremd,
sich durch schnelle Eindrücke, ohne sie auch nur auf ihre Wahrheit zu unter-