Full text: [Obertertia, [Schülerband]] (Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband])

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Industrie sind im Rheingebiet die Nordschweiz, das Oberelsaß, das nieder¬ 
rheinische Jndustrierevier, weiter östlich Württemberg, Sachsen, Nord¬ 
böhmen. Daneben entwickelt sich ebenfalls auf Grund eines ganz vom 
Auslande bezogenen Rohstoffes zu rasch steigender Bedeutung die Jute- 
5 fabrikation. 
Die größte Veränderung, die in den Beziehungen der fortgeschrittenen 
Länder Mitteleuropas zur übrigen Welt in den letzten Jahrzehnten sich voll¬ 
zogen hat, ist die ungemein große Steigerung der Ausnahme fremder Roh¬ 
produkte. Sie ist zu stark, als daß sie einfach durch die gleichzeitige Mehrung 
10 der Volkszahl erklärt werden könnte. Vielmehr verrät sich darin hauptsäch¬ 
lich das Steigen der Lebensansprüche, der Lebenshaltung, der Fortschritt der 
materiellen Kultur der Völker. Mitteleuropa ist nicht nur in der Ernährung, 
sondern auch in der Versorgung seiner Volkszahl mit den wichtigsten anderen 
Lebensbedürfnissen abhängiger geworden vom Auslande. Es versteht sich 
15 ganz von selbst, daß diese Beziehung zu fremden, überseeischen Gebieten nicht 
einseitig in einem Aufnehmen ihrer Erzeugnisse bestehen kann, sondern daß 
diesem auch eine erhöhte Ausfuhr mitteleuropäischer Fabrikate entsprechen 
muß. Der größte Teil Mitteleuropas hat schon die Phase der Entwicklung 
erreicht, in welcher die Grundlagen für das wirtschaftliche Leben seiner dichten 
20 Bevölkerung nicht mehr in erster Linie durch die Pflege des Landbaues ge¬ 
sichert ist, sondern überwiegend durch den Erfolg industrieller Arbeit, welche 
ihren Markt teilweise außerhalb der eigenen Grenzen suchen muß. Ein Aus¬ 
länder hat nicht mit Unrecht gesagt: „Deutschland muß exportieren oder 
untergehen". Und dieses selbe Los, das mit diesem Reiche bereits heute die 
25 Niederlande, Belgien und die Schweiz teilen, wird morgen Österreich, über¬ 
morgen Ungarn zufallen. Auch die Gebirgsländer im Rumpfe der Balkan¬ 
halbinsel werden von diesem Zuge der Entwicklung nicht unberührt bleiben. 
Je rascher diese Umgestaltung sich vollzieht, desto früher wird Mitteleuropa 
zum lebhaften Bewußtsein der Gemeinsamkeit seiner Interessen kommen, zur 
30 Einsicht der Notwendigkeit, ausreichenden Raum sich zu sichern für die Ver¬ 
wertung seiner Erzeugnisse, sich nicht in wirtschaftliche Grenzen einengen zu 
lassen, in denen es ersticken müßte. Der Vorempfindung dieser Gefahr ent¬ 
sprangen die Versuche Deutschlands, in zwölfter Stunde noch einen kleinen 
Anteil an den überseeischen Ländern sich zu sichern, und das kühne Unter- 
35 nehmen des Königs der Belgier, die Begründung des Kongostaates. Die 
Gegenwart sieht die Mächte Mitteleuropas tätig für das Ziel, sich nicht völlig 
ausschließen zu lassen von der beginnenden wirtschaftlichen Entwicklung Ost¬ 
asiens. Wie hier, werden Mitteleuropas Staaten überall aus der Erde darauf 
bedacht sein müssen, die Freiheit des Wettbewerbs und offene Türen für den 
40 Handel zu erstreben und, wo sie vorhanden sind, sie zu schützen.
	        
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