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Sprichwörter und Sentenzen.
122. Sprichwörter.
Aus Wilhelm Körles „Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten".
Die Sprichwörter sind der Spiegel der Denkart einer Nation; sie enthüllen den
Charakter derselben mehr als lange Erzählungen. Sie zeigen den Kompaß ihrer Lebens¬
führung. Die Sittensprüche der deutschen Nation sind bieder und wahr, dazu oft so scharf-
treffend, so kurz und rund, daß sie mit jeder anderen Nation nicht nur Wettlaufen, sondern
5 im Wettlanf über manche andere als Siegerin erscheinen könnten; ein Schatz reiner
Lehren, auf Recht und Wahrheit, auf Ehre und Tugend, auf Billigkeit und Treue gestellt
und, wie echt deutsch borgetragen, in wenig Worten gediegenes Gold. Schade nur, daß
jetzt wenig Deutsche dieseu Reichtum ihrer Vorfahren an Weisheit und Rechtlichkeit
schätzen und kennen. — Jede Anwendung eines Sprichworts will einen neuen Fall: dieser
10 muß übersehen und in allen Umständen erkannt werden. Eben die genaue Anwendung
auf den einzelnen Fall, die Verknüpfung des Allgemeinen und Besonderen, sie macht die
Kunst des Sprechenden aus. Johann Gottfried Herder. (1801—1803.)
1. Besser allein als in böser Gemein'. 2. Allzu scharf macht schartig.
3. Art läßt nicht von Art. 4. Man bläst so lange in die Asche, bis einem
15 die Funken in die Augen stieben. 5. Auf einen harten Ast gehört ein harter
Keil. 6. Wer bauet an den Straßen, der muß sich meistern lassen. 7. Wer
befehlen will, muß vorher gehorchen gelernt haben. 8. Je höhrer Berg, je
tiefer Tal. 9. Der Brei wird nicht so heiß gegessen, wie er aufgetragen wird.
10. Gleiche Brüder, gleiche Kappen. 11. Je mehr der Brunnen gepumpt
20 wird, desto reineres Wasser gibt er. 12. Wenn man den Brulinell verstopfen
will, muß man die Quelle suchen. 13. Es fällt kein Meister vom Himmel.
14. Einmal, keinmal. 15. Einmal ertappt ist hundertmal schuldig. 16. Ein¬
samkeit ein' schwere Last, wenn du Gott nicht bei dir hast. 17. Eitelkeit ein
schlimmes Kleid. 18. Ende gut, alles gut. 19. Erfahrung ist eine teure
25 Schule. 20. Feindes Geschellke haben Ränke. 21. Fliehendem Feinde baue
goldene Brücken:. 22. Friede ernährt, Unfriede verzehrt. 23. Geiz ist eine
Wurzel alles Übels. 24. Der Gerechte muß viel leiden. 25. Gewalt geht
vor Recht. 26. Gewohnheit ist andere Natur. 27. Jeder ist seines Glückes
Schmied. 28. Glück und Glas, wie bald bricht das! 29. Glück und Heil
30 sind Neidhards Speise. 30. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. 31. Hilf
dir selber, so hilft dir Gott. 32. Wen Gott lieb hat, den züchtigt er.
33. Fürchte Gott, tue recht, scheue niemand. 34. Gott verläßt keinen Deut¬
schen. 35. Gut verloren, wenig verloren; Mut verloren, viel verloren; Ehre
verloren, alles verloren. 36. Wie das Haupt, so die Glieder. 37. Hossart
35 zwingt den kleinen Mann, daß er muß auf den Zehen stahn. 38. Hoffart
muß Zwang leiden. 39. Hoffen und Harren nwcht manchen zum Narren.