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nachten und Ostern und Pfingsttag, die schönsten und weihevollsten Stunden
unseres deutschen Familienlebens, unserer in der deutschen Häuslichkeit be¬
gründeten Gemütlichkeit, im Hause und im Verkehr mit der Natur, in Feld
und Wald und Heide, bei Sonnenschein und Regen oder bei still herabfallen¬
den Schneestocken, im Gärtchen am Hause mit seinen Rosen und Tulpen und
Nelken, am Sonntagmorgen oder beim Abendläuten oder bei funkelnden!
Sternenhimmel, am schattigen Mühlbach in der stillen Mühle oder droben am
Schloß oder in der Kapelle auf sonniger Höhe, und was er sonst in den Be¬
reich seiner Darstellung ziehen mag, das alles ist durchweht von Poesie, im
deutschen Gemüt wahrhaft begründet, aus ihm gleichsam herausgewachsen
und mit kindlich naiven Augen geschaut, alles ist durchleuchtet von einem tiefen
religiösen Gefühl.
In der Vorrede zu seinem Holzschnittwerk „Fürs Haus" schreibt er im
Jahre 1858: „Schon seit vielen Jahren habe ich den Wunsch mit mir herum¬
getragen, in einer Bilderreihe unser Familienleben in seinen Beziehungen
zur Kirche, zum Hause und zur Natur darzustellen und somit ein Werk ins
liebe deutsche Haus zu bringen, welches im Spiegel der Kunst jedem zeigte,
was jeder einmal erlebt, der Jugend Gegenwärtiges und Zukünftiges, dem
Alter die Jugendheimat, den gemeinsamen Blumen- und Paradiesesgarten,
der den Samen getragen hat für die spätere Saat und Ernte. Gelingt es
nun, das Leben in Bildern schlicht und treu, aber mit warmer Freude au den
Gegenständen wiederzugeben, so wird ja wohl in manchem der einsam oder
gemeinsam Beschauenden der innere Poet geweckt werden, daß er ausdeutend
und ergänzend schaffe mit eigener Phantasie."
Und wie ist es dem Meister gelungen, schlicht und treu in diesen Gegen¬
ständen das alles zu schildern und zu bilden und wiederzugeben!
Seine religiösen Bilder haben ein echt evangelisches Gepräge, das Wvrt
„evangelisch" hier in seiner eigentlichsten und weitesten Bedeutung genommen.
Er schließt sich hierin an Fiesole und ebenso an Dürer und die übrigen alt¬
deutschen Meister, selbst an Rembrandt, an; der liebenswürdige und innige
Fiesole hat es ihm aber doch am meisten angetan. Innig und zart sind seine
religiösen Darstellungen, und wie treuherzig weiß er immer wieder diese
schon soviel dargestellten Gegenstände neu zu gestalten und uns näher zu
bringen! Immer wieder muß es gesagt werden, der Volkston — er ist auch
hier wieder so klar und sicher angeschlagen.
Charakteristisch für Richter ist eine handschriftliche Notiz von ihm: „Als
die beiden Pole aller gesunden Kunst kann man die irdische und die himm-
lische Heimat bezeichnen. In die erstere senkt sie ihre Wurzeln, nach der
andern erhebt sie sich und gipfelt in derselben." Wir sehen hieraus, wie bei
Richter Christentum und Kunst eng ineinander verschlungen sind. Nie aber
wird man ihm nachsagen können, daß sein wahrhaftes Christentum sich un-
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