Emanuel von Geibel.
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Lind säuseln die Zypressen,
Ein seliges Vergessen
Durchweht die Lüste sacht.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.
5. Und wo von heißen Tränen
Ein schmachtend Auge blüht,
Und wo in bangem Sehnen
Ein liebend Herz verglüht,
Der Traum kommt leis' und linde
Und singt dem kranken Kinde
Ein tröstend Hoffnungslied.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall:
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.
6. Gut' Nacht denn, all ihr Müden,
Ihr Lieben nah und fern!
Nun ruh' auch ich in Frieden,
Bis glänzt der Morgenstern.
Die Nachtigall alleine
Singt noch im Mondenscheine
Und lobet Gott, den Herrn.
Schlafet in Ruh', schlafet in Ruh'!
Vorüber der Tag und sein Schall;
Die Liebe Gottes deckt euch zu
Allüberall.
Gebet.
Herr, den ich tief im Herzen trage, sei du mit mir!
Du Gnadenhort in Glück und Plage, sei du mit mir!
Im Brand des Sommers, der dem Manne die Wange bräunt,
Wie in der Jugend Rosenhage sei du mit mir;
5 Behüte mich am Born der Freude vor Übermut,
Und wenn ich an mir selbst verzage, sei du mit mir.
Gib deinen Geist zu meinem Liede, daß rein es sei,
Und daß kein Wort mich einst verklage, sei du mit mir.
Dein Segen ist wie Tau den Reben; nichts kann ich selbst;
10 Doch daß ich kühn das Höchste wage, sei du mit mir.
O du mein Trost, du meine Stärke, mein Sonnenlicht,
Bis an das Ende meiner Tage sei du mit mir!