Friedrich von Schiller.
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18. Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor
Und sieht das Kreuz schon erhöhet,
Das die Menge gaffend umstehet;
An dem Seile schon zieht man den Freund empor,
Da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
„Mich, Henker," ruft er, „erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!"
19. Und Erstaunen ergreifet das Volk umher;
In den Armen liegen sich beide
Und weinen vor Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge tränenleer;
Und zum Könige bringt man die Wundermär';
Der fühlt ein menschliches Rühren,
Läßt schnell vor den Thron sie führen;
20. Und blickte sie lange verwundert an;
Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen,
Ihr habt das Herz mir bezwungen;
Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn:
So nehmet auch mich zum Genossen an!
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der dritte."
Der Ring des Polykrates.
1. Er stand aus feines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
„Dies alles ist, mir untertänig,"
Begann er zu Ägyptens König,
„Gestehe, daß ich glücklich bin!" —
2. „Du hast der Götter Gunst erfahren;
Die vormals deinesgleichen waren.
Sie zwingt jetzt deines Szepters Macht.
Doch einer lebt noch, sie zu rächen;
Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
Solang des Feindes Auge wacht." —
3. Und eh der König noch geendet.
Da stellt sich, von Milet gesendet.
Ein Bote dem Tyrannen dar;
„Laß, Herr, des Opfers Düfte steigen,
Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
Bekränze dir dein festlich Haar!
Paldamus, Deutsches Lesebuch. AuSg. v. Lieder und Gedichte. 5