Full text: [Teil 4 = Siebentes (und achtes) Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 4 = Siebentes (und achtes) Schuljahr, [Schülerband])

Freytag: Eine Frankenstadt zur Zeit der Merowinger. 
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weltumfassenden Blick. Zwar wissenschaftliche Bildung besaßen sie 
noch nicht, und Griechen und Römer bezeichneten sie deshalb als 
Barbaren. Selbst Theoderich der Große konnte nicht schreiben und 
unterzeichnete seinen Namen, indem er mit schwarzer Farbe über eine 
Schablone strich, in welche dieser eingeschnitten war. Aber trotzdem 
paßt der Name von Barbaren im heutigen Sinne nicht mehr auf 
diese Völker. Ihre schon ursprünglich so schöne, klangvolle Sprache 
war bereits durch die Poesie weiter entwickelt und gebildet. Und 
die Sprache war ein mächtiges Band, das alle diese Völker zusammen¬ 
hielt. Sänger zogen von einem Königshofe zum andern: und was 
zu Ravenna vor Theoderich gesungen wurde, das sonnte in Karthago 
bei den Vandalen, in Paris bei Chlodovech, in Burg-Scheidungen 
bei den Thüringen gleichfalls vorgetragen und verstanden werden. 
Boten, Gesandtschaften und Briefe gingen und kamen von einem Hofe 
zum andern; Geschenke wurden gewechselt, Ehen und Bündnisse wurden 
geknüpft. So wußten diese Völker voneinander und kannten ihre 
Zusammengehörigkeit. Aus diesem Wechselverkehr entstand schon da¬ 
mals das Heldenlied, eine treue Erinnerung an die großen Thaten 
deutscher Helden in der Zeit der Völkerwanderung: aber die Dichtung 
gestaltet in kühner Weise die Ereignisse um und rückt zusammen, was 
in der Wirklichkeit um ganze Menschenalter auseinander liegt, was 
weite Räume voneinander trennen, sie mischt Sage und Geschichte. 
So singt sie von Ermanarich, von Theoderich dein Großen (dem 
starken Dietrich von Berne), von seinem treuen Rittersmann Hilde¬ 
brand, ferner vom Fall der Burgundenkönige, vom weitherrschenden 
Etzel und von Sigurd oder Siegfried, der ursprünglich ein nordischer 
Frühlingsgott, jetzt ein jugendlicher Held ist, treu und kindlich, arglos 
und doch gewaltig wie keiner — das vollendete Abbild des deutschen 
Charakters. David Müller. 
34. Eine ^rankenstadt zur Zeit der Merowinger. 
Viele große Römerstädte waren zerstört, das kaiserliche Trier, 
das goldene Mainz, Worms, Speyer, Straßburg lagen in Trümmern, 
sie waren von fränkischen und alemannischen Bauern besetzt; auf 
altem Mosaikboden schritt der Haushahn, und im Triklinium stand 
die Häcksellade. Auch südlich von der Donau waren Regensburg 
und Augsburg schwerlich Besseres, als ein Haufe von Dorfhäusern 
und zerschlagenen Römerbauten in halb zerstörter Stadtmauer. Andere
	        
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