Full text: [Teil 4 = Siebentes (und achtes) Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 4 = Siebentes (und achtes) Schuljahr, [Schülerband])

364 VI. Aus der deutschen Litteratur; Briefe. 
andern eine unvermutete Freude bereitete. So hatte er durch eine 
listige Kombination meinen Geburtstag ausgeforscht, den ich heimlich 
hielt, um nicht von den Schülern gratuliert zu werden. Er fiel auf 
einen Montag. Den Sonnabend vorher, als ich ihn im Schauspiel 
aus seiner Loge abholte, faßte er mich unterwegs bei der Hand und 
fragte, wie ich denn übermorgen meinen Geburtstag zu feiern gedächte. 
Ich fragte ihn, wie er denn wüßte, daß mein Geburtstag wäre? — 
„Man hat so seine eigenen Mittel und Wege, das auszukundschaften," 
sagte er. „Daß Sie nicht zu Ihren Eltern kommen können," fuhr 
er fort, „glaube ich der Schule wegen. Da bin ich doch der Nächste, 
um auf Sie Anspruch zu machen." — Ich dankte ihm mehr durch 
Händedruck als durch Worte und ging seelenvergnügt nach Hause. 
Von dem Augenblick fing bei mir die Feier meines Geburtstages an. 
Mit einer stillen Wonne ging ich zu Bett und erwartete mit sehnsuchts¬ 
voller Ruhe den Montag. Zu Mittag schickte er mir durch Karl 
seinen Dell, und als ich ihn aufschlug, fand ich freundliche Worte 
darauf geschrieben. Um sieben Uhr abends ging ich zu ihm; und 
mein Vater hätte mir nicht zärtlicher gratulieren können als dieser 
Mann. Die kleine Karoline war meinethalben noch eine halbe Stunde 
länger aufgeblieben und sagte: „Voß, ich gratuliere dir auch." Auf 
Schillers Studierzimmer war ein kleiner, einfacher Tisch gedeckt, und 
im Hintergrund stand eine Flasche Champagner. Lieber Bruder, der 
Schiller glich als Hausvater vollkommen meinem Vater; aber den 
kennst Du nicht; doch hast Du die Luise inne, und einen solchen Abend 
feierten wir, wie da geschildert wird, mit ebenso inniger Liebe und 
Herzlichkeit durchwürzt. 
Schiller hat über Anmut und Würde geschrieben. Das hat 
mehreren wunderlich gedeucht. Mich aber befremdet es keineswegs, 
denn „Anmut und Würde gesellt" war sein Charakter. Und soll ein 
großer Mann nicht etwas beginnen, in dem sich sein Charakter aus¬ 
prägt? Selbst im Gange, in seinen seelenvollen Mienen lag Amnut 
und Würde; diese gebot Verehrung, jene erweckte herzliche Liebe; aber 
eben diese Liebe für ihn fühlte man stets hervorstechender als die 
Verehrung; und so, möchte ich auch sagen, war die Anmut auch noch 
der überwiegende Teil, der sich nie verlengnete. Es ist keine Dichter¬ 
fiktion, wenn Schiller singt: „Diesen Kuß der ganzen Welt!" sondern 
ein Hauptzug seines Charakters; denn alle Menschen sah er wie seine 
Brüder an und mochte sie mit den Armen seiner Liebe umfangen. 
Ja, und hätte er in der Schöpfung allein dagestanden, er hätte Seelen
	        
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