66
II. Deutsche Götter- und Heldensagen.
sich dazu mit fünfhundert seiner Mannen. Diese wurden reich be¬
schenkt und stattlich ausgerüstet von Kriemhilden, gleichwie die hundert
auserwählten Jungfrauen, die ihr als Dienerinnen folgen sollten, in
schimmerndem Geschmeide glänzten und mit den köstlichsten Gewän¬
dern, die unberührt in dumpfen Truhen jahrelang gelegen, verschwen¬
derisch ausgestattet wurden. Auch besaß Kriemhild noch viel des
Goldes aus dem Nibelungenlande. Davon füllten ihre Mägde trotz
Hägens Widerspruch und trotz Rüdegers Versicherung, daß sie an
Etzels reichem Hofe dessen nicht bedürfe, in Eile zwölf Schreine, um
sie mit von dannen zu führen.
Am fünften Tage schon wurden die Rosse zum Aufbruch gezäumt
ilnd Thränen vergossen in der Stunde des Abschiedes von bleibenden
und scheidenden Frauen. Die königlichen Brüder Gernot und Giselher
mit zweitausend ihrer Mannen gaben der Hunnenbraut das Geleite,
mit ihnen die übrigen Burgunderfürsten, die Herberge machten bis
zu den Ufern der Donau. Rur der grimme Hagen blieb zurück und
Volker, der kühne Spielmann, die unzertrennlichen Freunde. König
Günther ritt nicht weiter, als ein wenig vor die Stadt. Den Boten
aber, die vorausgesandt wurden ins Hunnenland, um Etzeln den Er¬
folg von Rüdegers Werbung zu verkünden, that große Eile not, wenn
sie der Ehre und des Botenbrots gedachten.
3.
Sieben Jahre waren verflossen, seitdem Kriemhild ihren Einzug
in Etzels Königsburg gehalten hatte. Nichts schien dem Glanze ihres
Glückes weiter zn fehlen, seitdem ihr ein Sohn geschenkt war, den
sie Ortlieb genannt und christlich hatte taufen lassen. Denn was
mochte sie von Etzel begehren, dessen Erfüllung ihr der treuergebene
Gatte und mächtige König verweigert hätte? Doch der Schmerz von
Siegfrieds Wunden brannte fort in Kriemhildens Herzen. Ob auch
ihr Antlitz lächelte, im Inneren hielt sie fest an ihrem Gram und
gedachte der Leiden, die sie aus der Heimat drängten, und daß die
Zeit der Rache vielleicht gekommen sei.
Da sprach sie ihrem Gemahl die Bitte aus, daß er die Brüder
in Worms nach Etzelnburg zu Gaste laden möchte. Ohne Säumen
werden die Boten entsendet; mit Freuden wird die Einladung an¬
genommen, trotz des warnenden Widerspruches Hägens, und ein
glänzender Heereszug macht sich auf die Fahrt donauabwärts. Nach