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Boden, und dann können die Sonnenstrahlen die Ackerkrume ordentlich durch¬
wärmen. Mit Lust und Wonne atmen wir die reine, lauwarme Luft, und 80
unser Entzücken teilen alle lebenden Wesen.
Mit weithin tönenden Jubeltrillern erhebt sich die Lerche in die glän¬
zend blaue Luft, von der Spitze einer Kiefer herab schallt uns das süße Lied
einer Singdrossel, aus dem Tannendickicht das klangvolle Flöten der Amsel,
vom Apfelbaume das Schmettern des Edelfinken, aus seinem Häuschen das Ge- 85
Plauder des Stars und vom trockenen Eichengipfel das Girren der Tauben entgegen.
Jetzt hält es uns nicht mehr im dumpfen Zimmer, jetzt müssen wir hinaus,
hinaus in die freie Natur, um alle erwachenden und zurückkehrenden Früh¬
lingskinder zu begrüßen und keines zu verfehlen.
Karl Ruß. In der freien Natur. B. I2. S. 3 ff.
32. Letzter Herbstgang.
Noch einmal lockt es uns hinaus zum Abschied an den scheidenden Herbst.
Der Abendwind jagt düsteres Gewölk über den blauen Himmelsplan und
treibt die letzten vergilbten Blätter aus den kahlen Wipfeln über die noch
immer grünenden Wiesen. Ein ewiger Wechsel herrscht über uns in der Höhe,
wo bald die Sonne, bald das verhüllende Gewölk die Beleuchtung der Gegend 5
bestimmt. Aus leuchtender Helle werden wir in graue Schatten gerissen;
bald wühlt der Wind in den Falten unserer Kleider, bald duldet er, daß ein
fallendes Blatt senkrecht niederfällt. Er neckt uns; denn wenn wir eine Strecke
weit im Gehen gegen ihn ankämpften, so daß wir uns fast auf ihn legen
konnten, so steht er dann Plötzlich still, so daß wir beinahe umstürzen Mag 10
er doch! Wir halten unsern Hut und lassen uns gern gefallen, daß er das
letzte Stäubchen aus unsern Kleidern kehrt, so daß wir nie so reine Kleider
haben als nach einem solchen windigen Gange.
Jetzt hat der Wind eine Regenwolke im Fluge zerzaust und peitscht
ihr Naß uns stechend ins Gesicht; doch gleich darauf folgt wieder Sonnen-15
schein und Ruhe.
So haben wir ein lichtes Buschholz gewonnen, in welchem kleine, freie
Wiesenplätze mit niedrigem Buschwerk und Baumgruppen sich mischen. Hie
und da ragt auch eine grauverwitterte Steinklippe über den fast ebenen Boden
hervor, und in einigen kleinen, flachen Einsenkungen desselben stehen kleine 20
Wasserlachen, von Weidengebüsch umgeben. Links grenzt diese buschige Fläche
an eine weite Feldflur und geht vor uns allmählich in einen hohen Fichten¬
bestand über, welcher am Rande, wie gewöhnlich in Feldhölzern, mancherlei
Laubholzbänme in sich faßt.
Der Kampf in der Luft scheint beendet zu sein oder in den höhern Luft- 25
schichten fortgesetzt zu werden; denn nur noch hoch über uns sehen wir lockeres,
zerrissenes Gewölk langsam gen Morgen fliehen. Um uns strahlt das blendende
Abendsonnenlicht, nur auf Augenblicke von einer vorüberziehenden Wolke
verhüllt.
Die hohen Pappeln, welche uns zur rechten den Feldweg einfassen, 30'
haben nur noch an der höchsten Spitze des schlanken Wipfels einen Busch