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scheu auf der Stelle ihren Sieg verfolgen und in Hellen Haufen über
den Rhein dringen würden. Kaiser Augustus stieß verzweiflungsvoll
den Kopf gegen die Wand und rief: „O Varus, Varus, gieb mir
meine Legionen wieder!" Die deutsche Leibwacht des Kaisers und
alle Germanen, die im römischen Kriegsdienste standen, wurden schnell
in entlegene Gegenden geschilll.
Aber die Deutschen blieben ruhig in ihrem Lande und begnügten
sich, alle Festungen und Heerstraßen und jede Spur der Römer bis an
den Rhein zu zerstören, und diesen Fluß wieder zur Grenze zwischen
dem freien Deutschland und dem Römerreiche zu machen.
Hermann's Thaten wurden im ganzen Lande besungen. Noch jetzt
singen die Kinder in Westphalen ein Hermannsliedchen und machen
dabei, ohne die Bedeutung des Liedchens zu kennen, eine marschmäßige
Bewegung.
Herinann, schta Lärm an! la piepen, ta brummen!
De Keiser will kummen met Hammer und Stangen,
Will Hermann uphangen.
Un Hermann schloug Lärm an, leit piepen, leit trummen,
De Fürsten sind kummen met all' ehren Mannen,
Hewt Varus uphangen.
3. Drusus' Tod.
Drusus lieh in Deutschlands Forsten
Gold'ne Nömeradler horsten;
An den heil'gen Göttereichen
Klang die Axt mit freveln Streichen.
Siegend fuhr er durch die Lande,
Stand schon an der Weser Strande,
Wollt' hinüber jetzt verwegen,
Als ein Weib ihm trat entgegen.
Übermenschlich von Geberde
Drohte sie dem Sohn der Erde:
„Kühner, den der Ehrgeiz blendet,
Schnell zur Flucht den Fuß gewendet!
Säumt der Deutsche gerne lange,
Nimmer beugt er sich dem Zwange;
Schlummernd mag er wohl sich strecken,
Schläft er, wird ein Gott ihn wecken."
Drusus, da sie so gesprochen,
Eilends ist er aufgebrochen;
Aus dem Schauern deutscher Haine
Führt er schnell das Heer zum Rheine.
Vor den Augen sieht er's flirren,
Deutsche Waffen hört er klirren,
Sausen hört er die Geschosse,
Stürzt zu Boden mit dem Rosse.
Jene Marken unsrer Gauen
Sind dir nicht vergönnt zu schauen,
Stehst am Markstein deines Lebens,
Deine Stege sind vergebens.
Hat den Schenkel arg zerschlagen,
Starb den Tod nach dreißig Tagen.
Also wird Gott alle fällen,
Die nach Deutschlands Freiheit stellen
(Simrock.)
4. Die Völkerbündnisfe.
(213 n. Lhr.)
Bisher hatten sich vereinzelle Stämme der Deutschen nur gewehtt,
und dies, um ihre Freiheit zu retten. Jetzt, da. sie nicht mehr an¬
gegriffen wurden, regte sich in ihnen die Lust, Rache an den Römern
zu nehmen und theilhaftig zu werden der Herrlichkeit und Schätze ihrer
Städte. Die Noth hatte sie die Erfahrung gelehtt, daß ihre Uneinig--
keü dem Feinde zur Macht gereiche. Da sagten um 213 nach Christus
die Gauvölker am Oberrhein und in Schwaben, meist alte Sueven:
„Laßt uns ein einig Volk sein, wer will uns dann wid-erstehen?" Und