Full text: [Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband]] (Teil 8 = Klasse 2, [Schülerband])

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„Aber, wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag?" 
Fragte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die Mutter: 
170 „Still! das Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl! 
Laß mit kindlichem Kuß dein junges Gemahl ihn erwecken; 
Dann wird wahr, daß Gott im Schlafe die Seinigen segnet!" 
Sprach's und führte sie leis in der Schule gesäubertes Zimmer, 
Voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Tafeln, 
175 Wo sie an Pflöck' aufhängte die nordische Wintervermummung, 
Mäntel, mit Flocken geweißt, und der Tochter bewunderten Leibpelz, 
Auch den Flor, der die Wangen geschirmt, und das seidene Halstuch. 
Und sie umschloß die Enthüllten mit strömender Träne der Inbrunst. 
„Tochter und Sohn, willkommen! ans Herz! willkommen noch einmal! 
180 Ihr, uns Altenden Freud', in Freud' auch altet und greifet, 
Stets einmütigen Sinns, umwohnt von gedeihenden Kindern! 
Nun mag brechen das Auge, da dich wir gesehen im Amtsrock, 
Sohn, und dich ihm vermählt, du frisch aufblühendes Herzblatt! 
Armes Kind, wie das ganze Gesicht rot glühet vom Ostwind! 
185 O du Seelengesicht! Denn ich duze dich, weil du es forderst! 
Aber die Stub' ist warm, und gleich soll Kaffee bereit sein!" 
Ihr um den Nacken die Arme geschmiegt, liebkoste die Tochter: 
„Mutter, ich duze dich auch, wie die leibliche, die mich geboren; 
Also geschah's in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war; 
190 Denn du gebarst und erzogst mir den wackeren Sohn Zacharias, 
Der an Wuchs und Gemüt, wie er sagt, nachartet dem Vater. 
Mütterchen habe mich lieb, ich will auch artiges Kind sein. 
Fröhliches Herz und rotes Gesicht, das hab' ich beständig, 
Auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals, 
195 Klopfend die Wang', ich würde noch krank vor lauter Gesundheit." 
Jetzo sagte der Sohn, sein Weib darstellend der Mutter: 
„Mütterchen, nehmt sie auf Glauben. So zart und geschlank, wie sie dasteht, 
Ist sie mit Leib und Seele vom edelsten Kerne der Vorwelt. 
Daß sie der Mutter nur nicht das Herz abschwatze des Vaters! 
200 Komm' denn und bring' als Gabe den zärtlichsten Kuß zum Geburtstag!" 
Schalkhaft lächelte drob und sprach die treffliche Gattin: 
„Nicht zur Geburtstagsgabe! Was Besseres bring' ich im Koffer 
Unserem Vater zur Lust und dem Mütterchen, ohne dein Wissen!" 
Sprach's und faßte dem Manne die Hand; die führende Mutter 
205 Öffnete leise die Tür' und ließ die Kinder hineingehn. 
Aber die junge Frau, voll Lieb' im lächelnden Antlitz, 
Hüpfte voraus und küßte den Greis. Mit verwunderten Augen 
Sah er empor und hing in der trautesten Kinder Umarmung.
	        
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