306 XXI. Rede des deutschen Reichskanzlers Fürsten Bismarck.
geleitet waren durch den Besuch der Kaiser von Rußland und von
Österreich 1872 hier in Berlin und durch die darauf folgenden Gegen¬
besuche. Es war uns das auch gelungen. Erst 1876 vor dem türki¬
schen Kriege traten uns gewisse Nötigungen zu einer Option zwischen
Rußland und Österreich entgegen, die von uns abgelehnt wurden.
Ich halte nicht für nützlich, in die Details darüber einzugehen; sie
werden mit der Zeit auch einmal bekannt werden. Es hatte unsere
Ablehnung die Folge, daß Rußland sich direkt nach Wien wandte,
und daß ein Abkommen — ich glaube, es war im Januar 1877 —
zwischen Österreich und Rußland geschlossen wurdex), welches die Even¬
tualitäten einer orientalischen Krise betraf, und welches Österreich für
den Fall einer solchen die Besetzung von Bosnien u. s. tu. zusicherte.
Daun kam der Krieg, und wir waren recht zufrieden, wie das Un¬
wetter sich weiter südlich verzog, als es ursprünglich Neigung hatte.
Das Ende des Krieges wurde hier in Berlin durch den Kongreß
definitiv herbeigeführt, nachdem es vorbereitet war durch den Frieden
von Sau Stefanos. Der Friede von San Stefano war meiner
Überzeugung nach nicht viel bedenklicher für die antirussischen Mächte
und nicht sehr viel nützlicher für Rußland, als nachher der Kongreß-
vertrag gewesen ist. Der Friede von San Stefano hat sich ja, kann
man sagen, nachher von selber eingefunden, indem das kleine, ich
glaube 800000 Seelen umfassende, Ostrumelien eigenmächtig die
Wiederherstellung der — nicht ganz — der alten Sau Stefano-Grenze
auf sich nahm und sich Bulgarien anfügte3). Es war also der Scha¬
den, den der Kongreß in den Abmachungen von San Stefano ange¬
richtet hat, nicht so sehr schlimm. Ob diese Abmachungen von San
Stefano gerade ein Meisterwerk der Diplomatie waren, das lasse ich
dahingestellt fein. Wir hatten damals fehr wenig Neigung, uns in
bie orientalischen Sachen zu mischen, ebenso wenig wie heute. Ich
war schwer krank in Friedrichsruh, als mir von russischer Seite das
Verlangen amtlich mitgeteilt wurde, zur definitiven Beilegung des
Krieges einen Kongreß der Großmächte nach Berlin einzuberufen.
Ich hatte zunächst wenig Neigung dazu, einmal weil ich in der körper¬
lichen Unmöglichkeit war, dann aber auch, weil ich keine Neigung
hatte, uns so weit in die Sache zu verwickeln, wie die Rolle des
1) Abkommen von Reichstadt vom 15. Januar 1877.
2) Am 3. März 1878.
3) Aufstand vom September 1885.