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So unser einer lebt im Walde
Und hört von Jägern manche Mär.
So will ich dir's denn wieder sagen.
Wie sich das Ding hat zugetragen.
Als Gott der Herr die Vöglein
schuf-
Ich denk', am fünften Schöpfungs¬
tag —
Da standen sie so Stuf' zu Stuf',
Wie man sie jetzt noch sehen mag,
Der Dompfaff, Rotschwanz, Meis'
und Fink,
G'nug, Adler bis zum Zitscherling,
Doch all noch erdfahl, tot und stumm
Um seinen Arüeitsstuhl herum,
Wie wohl ein Gipsmann sie zum Kauf
Jetzt stellt in seiner Werkstatt auf.
Da nahm der Schöpfer Scherb'
und Topf
Und mengte bunte Farben ein,
Bemalte dem den Hals und Kopf
Und jenem Brust und Flügelein;
Die Tauben malt' er weiß und blau,
Setzt' Augen in den Schweif dem
Pfau;
Den Gimpel und den Goldfasan
Strich er fein rot und goldgelb an;
Bald waren all die Töpfe leer
Und nichts gab's für den Stieglitz
mehr.
Drauf blies der Herr den Vögelein
Alsbald lebend'gen Odem ein.
Und sieh! mit fein und grobem Sang
Purrt' alles auf zum Bergeshang,
Wie wohl, wenn deineHand es scheucht,
Das Spatzenvolk vom Futter fleucht.
Der Stieglitz nur blieb still zurück,
Erhob zum Herrn gar trüb den Blick,
Reckt' auf das Hälslein und die Zeh'n
In jede leere Scherb' zu seh'n
Und sprach: ,Ja, die sind grün und
blau,
Ich armes Tier ganz aschengrau;
Soviel, als not zu meiner Zier,
Wär' wohl noch in den Töpfen hier!
Schau, Herr! hier ist noch Rot im
Topf' —
Gleich gab ihm Gott ein'n Klecks
aus'n Kopf.
.Hier gibt's noch etwas Weiß vom
Schwan' —
Gleich strich's ihm Gott am Flügel an.
.Auch was Zitrongelb ist noch hier' —
,Du Bettler, nun so nimm es dir!'
,Da gibt's auch Ruß noch, schwarz
wie Nacht,
Womit du Raben hast gemacht.' —
,Du närr'scher Kerl!' spricht Gott und
lacht,
,Nun, wenn du mußt von allem han,
So kleb' ich dir auch das noch an!'
So, Kleiner, hat der liebe Gott —
's ist wirklich wahr, kein Weidmanns¬
spott —
Mit Färb' den Stieglitz aufgefrischt,
An ihm die Pinsel ausgewischt.
Drum denk' ich jeden Morgen dran,
Bin ich gleich nur ein armer Mann,
Bin zu gering selbst für den Spittel,
Sink' ich nur recht und schlecht ins
Grab,"
Hier zog er fromm sein Käpplein ab,
„So zieht mir Gott dort für den
Kittel —
Er hat's dem Stieglitz ja getan —
Wohl auch das Kleid der Ehren an."
I. F. Kind.
9. Der Todesengel.
1. Auf dem Throne saß der hohe
Herrscher in dem Geisterreich,
Salomon, der weitberühmte,
Dem an Weisheit niemand gleich.
2. Mit ihm sprach der Todesengel,
Von dem Herrn herabgesandt.
Daß dem König er verkünde,
Was beschlossen Gottes Hand.