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Eine sehr große Anzahl der Morlacken bekennt sich zur griechischen Kirche, und 
seit einigen Jahren macht die unirte griechische Kirche, welche die Oberhoheit des 
Papstes anerkennt, aber ihre eigene Liturgie und viele ihrer eigenen Satzungen bei¬ 
behalten hat, große Fortschritte, 
145. Mariazell und die Wallfahrten. 
Mariazell liegt auf einer Anhöhe oberhalb der Salza in einer beinahe so hoch 
wie der Brocken belegenen Gegend. Die vielen Tausend Pilgrime, welche jährlich 
hier zusammenströmen, sind meistens aus Tyrol, Steyennark, Oesterreich, Böhmen, 
Mähren, Ungarn und Croatien. Die Tyroler und Salzburger ziehen in dem Salza- 
thale hinauf, die Stevermärker und Croaten pilgern über Bruck und dann durch's 
Gollradthal, und die Ungarn kommen gewöhnlich über den Semmering nach Mürz¬ 
zuschlag und wandern den Weg durch's Mürzthal, Vom Jahre 1816 bis 1819 pilgerten 
im Ganzen 389,690 Menschen hierher, jährlich also im Durchschnitt 97,999. Die 
größte Zahl war im Jahre 1818, nämlich 132,009. An ganz großen Festtagen find 
hier so große Volksmassen gewesen, wie sie sich nur in unseren größten Haupt¬ 
städten vereinigt finden. So z, B. im Jahre 1756, dem 6. Jubeljahre Mariazells, 
an einem Tage nicht weniger als 373,000 Pilger, 
Fast der ganze Marktflecken besteht aus Wirthshäusern und kleinen Handels- 
Etablissements, deren Kramwirthschasl zu den Bedürfnissen der Pilger irgend eine 
Beziehung hat. Ich eilte vor allen Dingen in die Kirche. Es war schon Abend, 
und ich fand sie schlecht beleuchtet, abe? voll mit Wallfahrern, die, in Gruppen 
vereint, zum Theil mitten in der Kirche, zum Theil vor der Gnadenkapelle und an 
den Altären standen und ihre Lieder sangen. Da sie am andern Morgen abreisen 
wollten, so waren es Abschiedslieder oder, wie sie mir sagten, „Urlaubslieder". Ich 
trat zu Einigen der singenden Gruppen näher hinzu. Es waren Männer und 
Weiber durcheinander, aber getrennt nach den verschiedenen Nationalitäten. Ich 
unterschied schon von ferne die deutschen und slavischen Gruppen; jene an ihren 
Dur-, diese an ihren Molltönen. Ich muß gestehen, daß die Lieder der Letzteren 
mir iin Ganzen besser gefielen. Ueberhaupt sprachen mich die slavischen Gruppen 
mehr an, als die deutschen. Die Slaven haben bei ihren gottesdienstlichen Verrich¬ 
tungen etwas ganz besonders Ernstes, Angemessenes und Ehrerbietiges. Eine Gruppe 
sogenannter Wasserkroaten fiel mir besonders auf. Ein alter Mann mit weißen 
Haaren führte sie an; er sang aus einem Büchelchen vor, in welchem allerlei Lieder 
zusammengestellt waren. Ein eben so alter Mann wie er hielt ihm die Kerze, und 
eine Menge ernster brauner Gesichter drängte sich dicht herzu, um die Verse recht 
genau zu hören und dann in den Chor-Refrain mit einstimmen zu können. Das 
'Buch war schon viel gebraucht und zum Theil etwas undeutlich geschrieben. Der 
Alte, obgleich er jede Zeile mit den; Finger verfolgte, mußte doch zuweilen anhalten. 
Dann hielt ihm sein Freund die Kerze ganz nahe an das Papier heran, und er¬ 
brachte Alles glücklich heraus. Vielleicht' wär er der Einzige unter dem Haufen, 
der ordentlich lesen konnte, oder er behauptete als Aeltester den Vorsänger-Rang. 
Als die Leute fertig ivaren und ganz still und mit den Händen sich die langen 
Haare über den Kopf streichend 'zur Kirche herausgingen mit schüchternen und 
bescheidenen Geberden, bat ich den alten Vorsänger, mir sein Buch zu zeigen. Als 
ich bemerkte, daß seine Lieder blos geschrieben seien, sagte er, er habe sie selbst 
gesammelt. Gedruckte Bücher wären bei ihnen rar. Es wären lauter Frauenlieder, 
sowohl Urlaubslieder, als auch Grußlieber. Diese letzteren singen sie zu Ehren der 
Maria bei ihrer Ankunft. 
Außer den singenden Gruppen waren andere, die blos in der Stille beteten, 
vor der geschmückten Statue der Maria seufzten und in Entzückung uno Anschauung 
verloren dastanden. Dicht zusammengeschaart drängten sie sich an den Altargittern, 
welche die Vordersten umklammerten, und blickten in das Halbdunkel der kleinen 
Gnadenkapelle hinein, aus der ein kaum erkennbares Bildniß hervorschimmerte. 
Hier und da lagen Einige auf dein Boden des Tempels, ganz platt gegen die kalten 
Steine gedrückt. Andere rutschten aus den Knieen in der Kirche umher, zuweilen 
10 bis 20 hinter einander, ein Jever ein Lichtlein in der Hand. Sie schienen eine 
gewisse Zahl Rutschungen zu vollenden; dann standen sie auf, befestigten ihre Kerzen 
auf dem Altare, sangen noch ein Urlaubslied und schlichen sich ganz still und wie 
beengt zur Kirche hinaus. Man kann sich denken, welchen sonderbaren Eindruck 
alles dies Durcheinanderarbeiten machen muß; diese in verschiedenen Richtungen 
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