183
Aus Lessings Briefen
II. Lessing als Bibliothekar in Wolfenbüttel.
Wolfenbüttel, den 27. Julius 1770.
. . . Eigentlich ist es der Erbprinz, welcher mich hierher
gebracht. Er ließ mich auf die gnädigste Art zu sich einladen;
und ihm allein habe ich es zu danken, daß die Stelle des Biblio¬
thekars, welche gar nicht leer war, für mich eigentlich leer gemacht
ward. Auch der regierende Herzog hat mir hierauf alle Gnade
erwiesen, deren ich mich von dem gesamten Hause zu rühmen
habe, welches aus den leutseligsten, besten Personen von der
Welt besteht. Ich bin indes der Mensch nicht, der sich zu ihnen
dringen sollte: vielmehr suchte ich mich von allem, was Hof heißt,
soviel wie möglich zu entfernen und mich lediglich in den Zirkel
meiner Bibliothek einzuschränken.
Die Stelle selbst ist so, als ob sie von jeher für mich gemacht
wäre: und ich habe es um so viel weniger zu bedauern, daß ich
bisher alle andern Anträge von der Hand gewiesen. Sie ist auch
einträglich genug, daß ich gemächlich davon leben kann, wenn ich
nur erst wieder auf dem Trocknen, das ist aus meinen Schulden
sein werde: sechshundert Taler Gehalt nebst freier Wohnung
und Holz auf dem fürstlichen Schlosse.
Das Allerbeste aber dabei ist die Bibliothek, die Ihnen
schon dem Ruhme nach bekannt sein muß, die ich aber noch weit
vortrefflicher gefunden habe, als ich mir sie jemals eingebildet
hätte. Ich kann meine Bücher, die ich aus Not verkaufen müssen,
nun sehr wohl vergessen. Ich wünschte in meinem Leben noch
das Vergnügen zu haben, Sie hier herumführen zu können, da
ich weiß, was für ein großer Liebhaber und Kenner Sie von
allen Arten von Büchern sind.
Eigentliche Amtsgeschäfte habe ich dabei keine andern, als
die ich mir selbst machen will. Ich darf mich rühmen, daß
der Erbprinz mehr darauf gesehen, daß ich die Bibliothek, als
daß die Bibliothek mich nützen soll. Gewiß werde ich beides zu
verbinden suchen: oder eigentlich zu reden, folgert schon eines
aus den: andern. . .
Aus einem Briefe Lessings an seinen Vater.