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Ein Glückwunschschreiben
119. Ein Glückwunschschreiben.
Gohlis, 7. August 1785.
An dem Morgen des Tages, der euch grenzenlos glücklich
macht, bete ich freudiger zu der Allmacht.
Wünschen kann ich euch nichts mehr. Jetzt habt ihr ja alles.
Euer Glück zu vergrößern müßte der Himmel eure Sterblichkeit
aufheben.
Euer Glück ruht in euren Herzen, es kann also nimmermehr
aufhören. Aber wenn ihr nichts mehr zu wünschen findet, wenn
das Wonnegefühl euch zu besitzen eure ganze Seele füllt, so
schenkt wenigstens einen Seitenblick noch der Freundschaft. Ver-
geßt nicht, daß sie für euch betet, für euch Tränen der Freude
weint und sich so ungern von dem lieblichen Traume trennt,
eure Tage verschönern zu helfen. Entblößt sie ihrer Pflichten
nicht — sie sind ihre Glückseligkeit, und wie viel bleibt ihr übrig,
wenn ihr gar nicht mehr wünschen wollt?
Sehnsucht, sich nie von dem lieben Wesen zu scheiden, das
einst unserm Herzen so teuer war, hat die Urnen erfunden. Sie
erinnern an ewige Dauer, darum seien sie heute das Symbol
eurer Liebe und unsrer Vereinigung.
Heute vor 5000 Jahren hatte Zeus die unsterblichen Götter
auf dem Olympos bewirtet. Als man sich niedersetzte, entstand
ein Rangstreit unter den drei Töchtern Jupiters. Die Tugend
wollte der Liebe vorangehen, die Liebe der Tugend nicht weichen
und die Freundschaft behauptete ihren Rang vor beiden.
Der ganze Himmel kam in Bewegung und die streitenden Göttinnen
zogen sich vor den Thron des Saturnus.
„Es gibt nur einen Adel auf dem Olympos," rief Kronos'
Sohn, „und nur ein Gesetz, wonach man die Götter richtet.
Der ist der erste, der die glücklichsten Menschen macht."
„Ich habe gewonnen," rief triumphierend die Liebe. „Selbst
meine Schwester, die Tugend, kann ihren Lieblingen keine größere
Belohnung bieten als mich — und ob ich Wonne verbreite,
das beantworte Jupiter und alle anwesenden unsterblichen Götter."
„Und wie lange bestehen deine Entzückungen?" unterbrach
sie ernsthaft die Tugend. „Wen ich mit der unverwundbaren