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Aber auch ohne Spielzeug vermögen alle Kinder aller Zeiten sich
zu belustigen. Die Kinderspiele, welche in alter Überlieferung durch
unzählige Geschlechter von Mutter zu Kind sich bis zur Gegenwart
fortgepflanzt haben, werden zwar in den Schriftdenkmalen des Mittel¬
alters höchst selten erwähnt; aber wir können doch einige gewissermaßen 5
urkundlich nachweisen: Blindekuh, Ringelschnellen, Fingerhaken, Finger¬
zählen, gerade und ungerade, Eierstoßen, auch der Plumpsack lassen sich
srüh belegen, Schaukeln ebenso.
Manche Spiele wurden mit Liedern oder Sprüchen begleitet, die
heute größtenteils entstellt sind durch die lange mündliche Übertragung. 10
Auch die Übungen im schnellen Sprechen schwieriger Laut- und
Wortverbindungen sind sehr alt; das Nachahmen der Tiersprache, endlich
auch das Aufgeben von Rätseln.
Zu dem Spielzeug der Kinder wie der erwachsenen Mädchen ge¬
hörten die Würfel, das Brettspiel und das Schach. 15
So vorteilhaft Tacitus die Germanen auch schildert, das Laster
des Spiels hebt er doch scharf heraus, verwundert darüber, wie ein
sonst so tüchtiges und reines Volk das Würfelspiel sogar im nüchternen
Zustande bis zur Leidenschaft treiben könne. Haben sie alles verspielt,
so setzen sie auf den letzten Wurf Leib und Freiheit; der Verlierende 20
wird samt Weib und Kind Sklave und darauf von dem Gewinner
möglichst bald verkauft, der die Schmach eines solchen Gewinstes sich
gern aus den Augen rückt. Das Würfelspiel und das Knöcheln blieben
das ganze Mittelalter hindurch bei deu Deutschen beliebt, und auch die
Frauen trieben es eifrig. Uni sie von solcher weltlicher Lust einiger- 25
maßen abzuziehen oder dieselbe möglichst geistlich zu machen, erfand der
Bischof Wibold von Cambray (972) ein besonders kunstreiches und auf
geistliche Verhältnisse umgedeutetes Würfelspiel, das viel verbreitet gewesen
zu sein scheint. Indessen wurde der weltliche Würfel dadurch nicht
verdrängt, und Konzilien wie Synoden haben stets vergebens dagegen 30
gekämpft.
Forderte das Würfelspiel die Leidenschaft der Menschen heraus uud
verführte es zu Trug und Zank und zu den bösesten Verirrungen, so
war das beim Brettspiel weit weniger zu befürchten. Dasselbe ist sehr
srüh zu den Germanen gekommen; es entspricht im ganzen unseren: 35
Damspiel oder Damenziehen und ward mit den Bickel- oder Zabelsteinen
auf dem Zabelbrett gespielt. Die runden Steine waren von Holz, von
gewöhnlichem Bein oder Elfenbein und bei kostbarem Stoffe auch durch
Schnitzereien verziert. Die Mädchen und Frauen spielten gern im Brett
um kleine Wertsachen oder um Leckereien, und die Bickelsteine werden 40
unter ihren Besitztümern genannt.
Sobald aus dem Brett mit Würfeln gespielt ward, durch deren
Würfe die Steine herausgeworfen und wieder gewonnen wurden, ging