Der ging langsam zurück. Oft blieb er stehen und preßte die
Hände aus die Brust. Aber nach kurzer Weile ging er weiter, vorbei
am letzten Hanse, wo die sterbende Großmutter lag. Zum Dorf hinaus
dem Wolssloch zu schleppte er sich. Was trieb ihn an den grauenvollen
5 Ort? Wollte er dem erlvürgten Feinde noch einmal ins verglaste, blut¬
triefende Auge schauen?
Derweil hatte der Nachtwächter mit der Klinge der Hellebarde die
Thüre des Pfarrhauses aufgebrochen. Seinem Klopsen war nicht geöffnet
worden. Man kannte dies Pochen zur Nachtzeit. Drinnen in der
10 Stube lag der Pfarrer auf den Knien und bat Gott um den Gnadenstoß.
Da rief des Nachtwächters bekannte Stimme in die Stube hinein:
„Friede!" Der Pfarrer sah mit stieren Augen hin, wie lvenn er nichts
begriffe. „Meine Mutter will sterben. Gebt ihr das Nachtmahl. Fried
ist im Land!" Da lvard dem alten Manne das Herz überwältigt. Er
15 brach in seinem stimmlosen Flüsterton in Schluchzen aus. Es klang zum
Erbarmen.
Der Nachtwächter aber ging hinüber zum Schulmeister. Mit dem
Knopf der Hellebarde stieß er an den Laden. „Ich bins, macht auf!"
„Wo brennts?" rief der Schulmeister und öffnete den Laden.
20 Da legte der Nachtwächter seine Arme dem Mann um den Kopf,
neigte das Antlitz ihm an die Wange und flüsterte ihm ein Wort ins
Ohr. Der Schulmeister zuckte zusammen, dann weinten beide Männer
Brust an Brust.
„Ich muß läuten, laß mich los," sagte endlich der Schulmeister.
25 Aber sein Geselle war seiner nicht mehr mächtig. Gewaltsam machte sich
der Greis frei, weckte seine Söhne und eilte zur Kirche hinauf, während
der Nachtwächter sich wieder zum Pfarrhaus wandte.
Seit vierzehn Jahren waren die Glocken stumm. Zum letzte» Male
hatten sie geläutet am Weihnachtsfest nach der Nördlinger Schlacht.
30 Dann schwiegen sie, daß nicht die Mordbuben herbeigelockt würden.
Und jetzt und jetzt schlugen sie wieder zusammen!
„Was macht so?" frugen die Kinder.
„Es läutet," sagten die Alten. „Steht aus, Kinder, 's ist Fried
im Land!"
35 „Wer ist der Fried?" frugen die Kinder, „nimmt uns der Fried
die Geiß weg, und schlägt er uns den Vater blutig?"
„Schweigt, Kinder, und zieht euch an und betet!"
„Thut der Fried so sausen?" frugen die Kinder furchtsam. Aber
die Mutter gab ihnen fürder keine Antwort. Da fingen sie an zu
40 weinen und verkrochen sich, ein jedes in sein bekanntes Verstecklein und
lauschten angstvoll dem fremden Getön.
Übel klangen die Glocken. Die große war zersprungen. Gleich
am Ansang des Krieges hatten die Mansfelder sie und die mittlere, die