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meiner freien Wahl ab. Du kannst wählen, sagt mir dieses Wort
und dich entscheiden nach eigener überzeugung für gut oder bös, für
falsch oder wahr, für recht oder unrecht. Darum ist es die edelste
Kraft, die mir innewohnt, denn durch sie unterscheide ich mich vom
Tier und allen andern kraftvoll wirkenden Wesen, die von der
Natur getrieben und geleitet werden. Während mir also das Sollen
und Müssen meine Abhängigkeit und Beschränktheit zum Bewußtsein
bringt, sagt mir das Wollen, daß ich frei bin. Deshalb ist es aber
auch das Maß für meine Verantwortlichkeit. Es durch die Vernunft
zu regeln ist meine Aufgabe. Denn ich komme nur dann zum Ziel,
wenn mein Wollen nach dem Inhalt meiner Pflichten und der Größe
meiner Kräfte geordnet ist. Wenn ich also mehr will, als ich kann,
und anders will als soll, werde ich unglücklich. Darum sagt
Rückert, der Dichter des Spruches von den sechs Wörtlein, an einer
anderen Stelle:
„Der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er kann,
Ist wohl ein guter Spruch, doch g'nügt er nicht dem Mann.
Der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er soll;
In diesem ist das Maß der Mannestugend voll.
Das ist der Zauberbann, mit dem du alles stillst:
Wolle nur, was du sollst, so kannst du, was du willst.“
Mit dem Wollen nahe verwandt ist das Dürfen. Denn mit
diesem Wort ist mir gesagt, daß es mir gestattet ist zu handeln,
wie ich will, sei es nun, daß ich die Macht und das Recht dazu in
mir selbst trage oder durch fremdes Zugeständnis erhalten habe.
Aber mein Dürfen berührt oft hart die Grenze des Erlaubten. Ich
darf oft auch dort noch, wo es geratener wäre, ich würde das
Handeln unterlassen. Mit dem Dürfen setze ich mich also oft einer
Gefahr aus, die ich zu bestehen wage. Darum ist es meine Pflicht,
wo ich darf, wohl zu prüfen und zu unterscheiden, ob ich gut daran
tue das zu wagen, was ich tun darf.
Zu noch größerer Vorsicht aber mahnt mich das Mögen.
Damit ist gesagt, daß ich imstande bin und die Kraft habe zu
wirken, daß es mir freisteht zu tun, wozu ich in mir die Lust und
Neigung verspüre. Gerade in dem letzteren Umstand liegt aber für
mich die Gefahr. Denn Lust und Neigung sind gar oft nicht durch
die Vernunft geleitet, sondern von der Laune des Augenblicks ein—
gegeben. Darum muß ich dies Mögen klug beherrschen, daß es mich
nicht zur Unbesonnenheit fortreißt und zu Schaden bringt. Denn
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