Full text: [Band 6 = 6. Schuljahr, [Schülerband]] (Band 6 = 6. Schuljahr, [Schülerband])

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Zielen zu streben. Daher fehlt es ihm an dem wahren inneren Glücke. 
Mag er sich selbst im Überflusse irdischer Güter befinden, mag er 
sich von Genuß zu Genuß stürzen, die rechte Befriedigung findet er 
nicht; er gleicht trotzdem dem Dürstenden in der Wüste, es fehlt 
ihm der Labetrunk der Liebe zu anderen, die der Mensch seiner Natur 
nach nun einmal nicht entbehren kann. Wie viel schlimmer ist er 
noch daran, wenn ihn die Wogen des Unglücks ergreifen; denn hier 
besitzt er nicht wie der gute und brave Mensch ein kräftiges Steuer⸗ 
ruder in dem Bewußtsein, daß er das Mißgeschick nicht verdient hat 
und schuldlos leidet. 
Der Herzlose entbehrt jedoch nicht nur des Genusses und Trostes, 
die ein liebendes Herz schon durch das Bewußtsein dieses Zustandes 
gewährt, er entbehrt auch eines weiteren Glückes, das ihm von 
nderer Seite bereitet werden könnte. Wie man in den Wald hinein— 
ruft, so schallt es wieder heraus, sagt der Volksmund. Wie das 
Echo nur dem Rufenden entgegenklingt, so öffnet sich das Herz der 
Mitmenschen auch nur dem Liebenden. Gatten— und Geschwisterliebe, 
Freundschaft und Treue beruhen auf Gegenseitigkeit. Auf alle Freuden, 
die diesen menschlichen Verhältnissen entspringen, muß daher der 
Herzlose verzichten. Befindet er sich in glücklichen Verhältnissen, so 
fehlt ihm gerade das, was das Glück erst zum Glücke macht, das 
Gefühl es mit anderen zu teilen: „Ich kenne keine größere Pein, 
wär' ich im Paradies allein,“ so lautet das treffende Dichterwort. 
Wie wenig schmeckt doch eine gute Mahlzeit, die man allein verzehrt, 
wie langweilig ist eine Reise, auf der man keinen Gefährten hat! 
Nach der Mitteilung an andere, nach der Teilnahme anderer hungert 
das von der Freude erfüllte Herz; wird dieser Hunger nicht gestillt, 
so fühlt es sich verlassen und verwaist mitten im Schoße des Glückes. 
Viel ärger martert dieses Gefühl der Verlassenheit den Lieblosen, 
der keine Gegenliebe erworben hat, im Unglücke. Wenn sich dem 
Verarmten keine milde Hand öffnet, wenn dem Hungernden 
niemand Speise und Trank darreicht, wenn dem Kranken niemand 
Trost und Erleichterung spendet, weil er versäumte die Herzen seiner 
Mitmenschen zu gewinnen, dann wird er sich vorkommen wie ein 
Aussätziger, den man aus dem Kreise der Gesunden treibt und im 
Elende verkommen läßt. Er ist also tatsächlich in jeder Lebenslage 
verwaist und verlassen, weil er für sein Herz „keine Liebe er— 
worben hat.“ 
Nicht minder verwaist und verlassen erscheint aber auch der,
	        
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