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Zielen zu streben. Daher fehlt es ihm an dem wahren inneren Glücke.
Mag er sich selbst im Überflusse irdischer Güter befinden, mag er
sich von Genuß zu Genuß stürzen, die rechte Befriedigung findet er
nicht; er gleicht trotzdem dem Dürstenden in der Wüste, es fehlt
ihm der Labetrunk der Liebe zu anderen, die der Mensch seiner Natur
nach nun einmal nicht entbehren kann. Wie viel schlimmer ist er
noch daran, wenn ihn die Wogen des Unglücks ergreifen; denn hier
besitzt er nicht wie der gute und brave Mensch ein kräftiges Steuer⸗
ruder in dem Bewußtsein, daß er das Mißgeschick nicht verdient hat
und schuldlos leidet.
Der Herzlose entbehrt jedoch nicht nur des Genusses und Trostes,
die ein liebendes Herz schon durch das Bewußtsein dieses Zustandes
gewährt, er entbehrt auch eines weiteren Glückes, das ihm von
nderer Seite bereitet werden könnte. Wie man in den Wald hinein—
ruft, so schallt es wieder heraus, sagt der Volksmund. Wie das
Echo nur dem Rufenden entgegenklingt, so öffnet sich das Herz der
Mitmenschen auch nur dem Liebenden. Gatten— und Geschwisterliebe,
Freundschaft und Treue beruhen auf Gegenseitigkeit. Auf alle Freuden,
die diesen menschlichen Verhältnissen entspringen, muß daher der
Herzlose verzichten. Befindet er sich in glücklichen Verhältnissen, so
fehlt ihm gerade das, was das Glück erst zum Glücke macht, das
Gefühl es mit anderen zu teilen: „Ich kenne keine größere Pein,
wär' ich im Paradies allein,“ so lautet das treffende Dichterwort.
Wie wenig schmeckt doch eine gute Mahlzeit, die man allein verzehrt,
wie langweilig ist eine Reise, auf der man keinen Gefährten hat!
Nach der Mitteilung an andere, nach der Teilnahme anderer hungert
das von der Freude erfüllte Herz; wird dieser Hunger nicht gestillt,
so fühlt es sich verlassen und verwaist mitten im Schoße des Glückes.
Viel ärger martert dieses Gefühl der Verlassenheit den Lieblosen,
der keine Gegenliebe erworben hat, im Unglücke. Wenn sich dem
Verarmten keine milde Hand öffnet, wenn dem Hungernden
niemand Speise und Trank darreicht, wenn dem Kranken niemand
Trost und Erleichterung spendet, weil er versäumte die Herzen seiner
Mitmenschen zu gewinnen, dann wird er sich vorkommen wie ein
Aussätziger, den man aus dem Kreise der Gesunden treibt und im
Elende verkommen läßt. Er ist also tatsächlich in jeder Lebenslage
verwaist und verlassen, weil er für sein Herz „keine Liebe er—
worben hat.“
Nicht minder verwaist und verlassen erscheint aber auch der,