Full text: Litteraturkunde (Fünfter Teil = 9. bezw. 9. und 10. Schuljahr, [Schülerband])

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mantisch genug, in einem Gedichte selbst angetragen, und die er geheiratet, 
um namentlich seinen verwaisten Kindern wieder eine Heimstätte zu geben 
— sowie die ungefähr gleichzeitige Verurteilung seiner Poesie durch Schiller 
ihn nicht härter mehr zu treffen vermochten. 
Sein Endurteil über das, was Bürger besaß und was ihm mangelte, 
faßte Schiller (1790) in folgendem Satze zusammen: „Wenn irgend 
einer von unsern Dichtern es wert ist, sich selbst zu vollenden, um etwas 
Vollendetes zu leisten, so ist es Herr Bürger. Diese Fülle poetischer 
Malerei, diese glühende, energische Herzenssprache, dieser bald prächtig 
wogende, bald lieblich flötende Poesiestrom, der seine Produkte so hervor¬ 
ragend unterscheidet, endlich dieses biedre Herz, das, man möchte sagen, 
aus jeder Zeile spricht, ist es wert, sich mit immer gleicher ästhetischer 
und sittlicher Grazie, mit männlicher Würde, mit Gedankengehalt, mit 
hoher und stiller Größe zu gatten und so die höchste Krone der Klassicität 
zu erringen." Und ähnlich urteilte später (1802) August Wilhelm 
Schlegel, der, als er (1786—89) in Göttingen studierte, in ein wahres 
Freundschaftsverhältnis zu Bürger trat; doch beklagt derselbe auch zugleich 
mit warmen Worten des Dichters trauriges Los, indem er sagt: „Gerade 
seine Neigung zur Poesie und seine Beschäftigung mit ihr war es, was 
ihn abhielt, sein zeitliches Wohl entschlossener und rüstiger anzubauen, 
was seine Tage verbitterte und wohl verkürzte. Wenige haben die dichte¬ 
rische Weihe und ihr Teil Ruhmes um einen so teuren Preis gekauft." 
8. Aus Bürgers Dichtungen. 
Das Blümchen Wunderhold. 
Es blüht ein Blümchen irgend wo 
Zn einem stillen Thal, 
Das schmeichelt Aug'undHerz so froh 
Wie Abendsonnenstrahl. 
Das ist viel köstlicher als Gold, 
Als Perl' und Diamant; 
Drum wird es „Blümchen Wunder¬ 
hold" 
Mit gutem Fug genannt. 
Wohl sänge sich ein langes Lied 
Von meines Blümchens Kraft, 
Wie es am Leib und am Gemüt 
So hohe Wunder schafft. 
Was kein geheimes Elixir 
Dir sonst gewähren kann. 
Das leistet, traun! mein Blümchen dir; 
Man säh' es ihm nicht an. 
Wer Wunderhold im Busen hegt. 
Wird wie ein Engel schön; 
Das hab' ich, inniglich bewegt, 
An Mann und Weib gesehn. 
An Mann und Weib, alt oder jung, 
Zieht's wie ein Talisman 
Der schönsten Seelen Huldigung 
Unwiderstehlich an. 
AufsteisemHals ein Strotzerhaupt, 
Das über alle Höh'n 
Weit, weit hinaus zu ragen glaubt, 
Läßt doch gewiß nicht schön. 
Wenn irgend nun ein Rang, wenn 
Gold 
Zu steif den Hals dir gab. 
So schmeidigt ihn mein Wunderhold 
Und biegt dein Haupt herab.
	        
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