Full text: Litteraturkunde (Fünfter Teil = 9. bezw. 9. und 10. Schuljahr, [Schülerband])

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Was du anlächelst, lacht; was du anblickest, glänzt; 
Die Eng' erweitert sich, und Weites wird begrenzt. 
Durch dich ist ewig, was im Augenblick geschwunden, 
Was ich gelebt, gedacht, genossen und empfunden. 
Wenn es dir übel geht, nimm es für gut nur immer; 
Wenn du es übel nimmst, so geht es dir noch schlimmer. 
Und wenn der Freund dich kränkt, verzeih's ihm und versteh: 
Es ist ihm selbst nicht wohl, sonst thät' er dir nicht weh. 
Und kränkt die Liebe dich, sei dir's zur Lieb' ein Sporn; 
Daß du die Rose hast, das merkst du erst am Dorn. 
Dein Auge kann die Welt trüb oder hell dir machen; 
Wie du sie ansiehst, wird sie weinen oder lachen. 
Dein äußres Auge kannst du schärfen selbst und üben; 
O hüte dich viel mehr, dein inneres zu trüben! 
Wenn rein dein inn'res schaut, das äußre mag erblinden; 
Du wirst das Helle Bild der Welt im Herzen finden. 
„Der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er kann". 
Ist wohl ein guter Spruch, doch g'nügt er nicht dem Mann. 
Der Mensch kann, was er will, wenn er will, was er soll, 
Zu diesem ist das Maß der Mannestugend voll. 
Das ist der Zauberbann, womit du alles stillst: 
Wolle nur, was du sollst, so kannst du, was du willst. 
Als wie der Schwan, der rein auf reinen Fluten schwimmt. 
Im Himmel unter sich sein Spiegelbild vernimmt 
Und, wenn er lang' im See gezogen seine Kreise, 
Taucht unter und zurück läßt keine Spur der Reise: 
Glückselig, wer so rein sich auf der Welt bewahrt 
Und Abschied also nimmt, daß niemand es gewahrt. 
Nichts Bessers kann der Mensch hienieden thun als treten 
Aus sich und aus der Welt und aus zum Himmel beten. 
Es sollen ein Gebet die Worte nicht allein, 
Es sollen ein Gebet auch die Gedanken sein. 
Es sollen ein Gebet die Werke werden auch, 
Damit das Leben rein aufgeh' in einen Hauch. 
In einer Wüste fließt ein Quell durch Gottes Kraft, 
Der hat für Durstige des Wegs die Eigenschaft: 
Wer im Vorübergehn nur schöpfet mit der Hand, 
Der geht erquickt und kühl hinweg im Sonnenbrand. 
Doch wer sich niederläßt am Quell und trinkend ruht. 
Der trinkt sich durstig und verdurstet an der Flut.
	        
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