Vorwort.
Die Oberstufe, für welche der vorliegende fünfte Teil meines
Lesebuches bestimmt ist, muß insofern einen eigenartigen Charakter
tragen, als hier der deutsche Unterricht mit seiner Einführung in
die geistigen Schätze unseres Volkes gebieterisch in den Vordergrund
der formalen und materialen Bildung der Schiilerin tritt. Es muß
überdies ein Lesebuch für Mädchen ganz anders gestaltet sein, als ein
solches für Knaben, denn eigenartig wie das Naturell des Mädchens
muß auch sein Lesebuch sein, der Hauptborn seiner Bildung. Überall
muß dasselbe das weibliche Gemütsleben ins Auge fassen, ohne in weich¬
liche Sentimentalität zu verfallen, überall auf den zarten Sinn für das
Gute, Wahre, Edle und Schöne wirken, ohne unklare, oberflächlich
tändelnde Schwärmerei zu pflegen. Das Lesebuch wird auf der Ober¬
stufe zum Litteraturbuche, welches den Abschluß der geistigen Bil¬
dung der Schülerin herbeiführt, indem es zugleich auf diejenigen
Dichter und Dichtungen hinweist, welche sich dein weiblichen Naturell
als eine Lektüre für die Zukunft empfehlen.
Durch die Einführung in das Verständnis der Geisteswerke
unserer hervorragendsten Dichter wird der ästhetische Sinn der
Schiilerin an den klassischen Formen der Poesie entwickelt, Geist und
Gemüt erleuchtet und erwärmt, und im Spiegel deutschen Geistes
empfindet sie das glückliche Bewußtsein, eine Deutsche zu sein, deren
junges Herz in Liebe und Dankbarkeit für das Vaterland und sein
Herrscherhaus erglüht; vor allem aber wird neben dem deutsch¬
nationalen Sinne auch der religiös-sittliche an dem Inhalte
der Dichtungen genährt und belebt. Die sittlichen Wahrheiten,
welche Goldkörnern gleich in jedem Dichterwerke ruhen, werden dem
Herzen zum unverlierbaren Eigentum, zu einer köstlichen Mitgabe