Full text: [Teil 4 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 4 = Quarta, [Schülerband])

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VI. Sagen. 
Der Herzog, der von heißer Sehnsucht nach seiner geliebten 
Gemahlin gequält wurde, ging dies ein und hoffte auf des Himmels 
Beistand wider alle Künste des Bösen. Alsbald ergriff ihn der Teufel, 
führte ihn schnell durch die Lüfte bis vor Braunschweig, legte ihn 
auf den Giersberg nieder und rief: „Nun wache, Herr, ich kehre bald 
wieder." Heinrich aber war aufs höchste ermüdet, und der Schlaf 
fetzte ihm mächtig zu. Nun fuhr der Teufel zurück und wollte den 
Löwen, wie er verheißen hatte, auch abholen; es währte nicht lange, 
so kam er mit dem treuen Tiere dahergeflogen. Als nun der Teufel, 
noch ans der Luft herunter, den Herzog in Müdigkeit versenkt auf 
dem Giersberge ruhen sah, freute er sich schon im voraus; allein der 
Löwe, der seinen Herrn für tot hielt, hub laut zu brüllen an, so daß 
Heinrich in demselben Augenblick erwachte. Der böse Feind sah nun 
sein Spiel verloren und bereute es zu spät, das wilde Tier herbei¬ 
geholt zu haben; er warf den Löwen ans der Luft herab zu Boden, 
daß es krachte. Der Löwe kam glücklich auf den Berg zu seinem 
Herrn, der Gott dankte und sich aufrichtete, um, weil es Abend 
werden wollte, hinab in die Stadt Braunschweig zu gehen. Nach der 
Burg war sein Gang, und der Löwe folgte ihm immer nach; großes 
Getöne scholl ihm entgegen. Er wollte in das Fürstenhaus treten, 
da wiesen ihn die Diener zurück. „Was heißt das Getön und 
Pfeifen," rief Heinrich aus, „sollte doch wahr sein, was mir der 
Teilfel gesagt? Und ist ein fremder Herr hier in diesem Hans?" 
„Keill fremder," antwortete man ihm, „denn er ist luisrer gnädigen 
Frau verlobt und bekommt heute das Braunschweiger Land." „So 
bitte ich", sagte der Herzog, „die Braut um einen Trunk Weins, mein 
Herz ist mir ganz matt." Da lief einer voll dell Leuten hinauf zu 
der Fürstin und hillterbrachte, daß ein fremder Gast, dem ein Löwe 
mitfolge, um einen Trunk Weins bitten lasse. Die Herzogin ver¬ 
wunderte sich, stillte ihm ein Geschirr mit Wein und sandte es dem 
Pilgrim. „Wer niagst dll wohl sein," sprach der Diener, „daß du 
von diesem edlen Wein zu trinken begehrst, den man allein der Herzogin 
einschenkt?" Der Pilgrivl trank, nahm seinen goldnen Ring und 
warf ihn iil dell Becher unb hieß diesen der Braut zurücktragen. Als 
sie den Ring erblickte, auf denr des Herzogs Schild und Name ge¬ 
schnitten war, erbleichte sie, stund eilends auf und trat an die Ziime, 
um nach dern Fremdlülg §u schauen. Sie ward des Herrn inne, der 
da mit- dem Löwen saß; darauf ließ sie ihn in den Saal entbieten 
und fragen, wie er zu dem Ringe gekommen wäre, und wärmn er 
ihn in den Becher gelegt hätte. „Voll keinem hab' ich ihn bekommen, 
sondern ihn selbst genommen, es sind nun länger als sieben Jahre; 
uild den Ring hab' ich hingelegt, wo er billig hillgehört!" Als man
	        
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