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I. Erzählungen.
Fernrohr von der Richtigkeit der Beobachtung überzeugte und den
Kurs sofort auf den weißen Punkt richtete. Zu großer Überraschung
aller entwickelte sich dann aus diesem Punkte das den Seeleuten wohl¬
bekannte Boot des Passagierdampfers, und schon aus weiter Ferne
erkannte man Herrn Newall an seinem charakteristischen langen, weißen
Barte.
Inzwischen hatte sich das Leben auf dem Korallenfelsen in er¬
warteter Weise weitergesponnen. Von neun Uhr morgens bis vier
Uhr nachmittags mußten wir ruhig unter den Zeltdächern liegen, um
der Sonnenglut besser widerstehen zu können und das Bedürfnis nach
Getränken nicht zu sehr zu wecken. Darauf wurde gekocht und, so gut
es anging, gespeist, wobei in den ersten Tagen jeder eine kleine Flasche
puls als bekam, da das Wasser für Frauen und Kinder aufbewahrt
wurde. Den Wein, der auch vorhanden war, konnte niemand ver¬
tragen; er erhitzte das Blut derartig, daß diejenigen erkrankten, die
es versuchten, ihn zu trinken. Die ersten beiden Tage ging alles so
leidlich, dann aber begann eine große Abspannung und verzweifelte
Stimmung Platz §n greifen. Treue, alte Diener verweigerten kleine
Dienstleistungen, wenn ihnen auch Goldstücke dafür geboten wurden.
Selbst die Schafe und Hunde, die man ans Land gebracht hatte, ver¬
loren allen Lebensmut. Sie drängten sich mit unwiderstehlicher Ge¬
walt unter die Zeltdächer und ließen sich lieber töten als den un¬
barmherzigen Sonnenstrahlen wieder preisgeben. Nur die Schweine
übertrafen an Ausdauer selbst den Menschen; sie umkreisten unaus¬
gesetzt suchend die Insel, bis sie im Kampfe um ihr Dasein tot zu
Boden ftelen.
Am dritten Tage gelang es einer kleinen Zahl von uns, die noch
so viel Kraft und Selbstüberwindung besaßen, um bei niedrigem
Sonnenstände Arbeiten auszuführen, die äußere Schiffswand zu durch¬
brechen und sich den Eingang in die Eiskammer des Schiffes zu er¬
öffnen. Es fand sich in ihr freilich kein Eis nrehr vor, aber noch eine
mäßige Quantität kalten Wassers. Das wurde ebenfalls den zahl¬
reichen Frauen und Kindern aufbewahrt, doch erhielt jeder Mitarbeiter
als Lohn ein Glas frisches, kühles Wasser. Noch nach vielen Jahren
habe ich mich dieses erquickenden Trunkes bei quälendem Durst und
trockenem Gaumen oft dankbar erinnert.
Als auch der vierte Tag ohne Aussicht auf Erlösung verging, be¬
mächtigte sich selbst der Mutigsten dumpfe Verzweiflung. Ein Dampfschiff,
dessen Rauch wir in weiter Ferne erblickt hatten, war vorübergefahren,
ohne uns zu entdecken. Am folgenden Morgen hieß es wieder „Dampf¬
schiff in Sicht!" aber der Ruf erweckte diesmal nur schwache Hoffnung.
Doch der Rauch kam näher, und die schon schlummernden Lebensgeister