Full text: [Teil 4 = Tertia, [Schülerband]] (Teil 4 = Tertia, [Schülerband])

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sind die Waren ausgelegt; das kleine Handwerk der Stadt zeigt heute 
im Gewühl der Fremden und Einheimischen auf der Straße, was der 
Fleiß des Bürgers in der Woche geschaffen. Jeder ältere Handwerks¬ 
mann wußte damals, welche Fortschritte das Handwerk seit Menschen¬ 
gedenken gemacht hatte. Überall größere Kunst und Reichlichkeit des 
Lebens, neue Handwerke waren entstanden, unaufhörlich änderte sich die 
Mode. Aus dem alten Handwerk der Eisenschmiede waren wohl zwölf 
jüngere gekommen, vom Sarwürker, der die Kettenpanzer verfertigte, 
bis zum Nestel- oder Heftelmacher. Die Riemer, Sattler und Beutler 
hatten sich getrennt, und die Beutler verfertigten Handschuhe und zier¬ 
liche Ledertaschen für die Frauen und parfümierten sie mit Ambra; 
die Glaser, sonst geringe Werkleute, waren hoch heraufgekommen, sie ver¬ 
standen durchsichtiges Glas in den schönsten Farben zu verfertigen, sie 
setzten diese Stücke kunstvoll in Blei zu Bildern zusammen, malten 
Gesichter und Haare, schattierten die Gewänder mit dunkler Farbe und 
schliffen helle Stellen aus. Auch die Schuster waren sehr kunstreich 
geworden, ihr Handwerk war schwierig, sie hatten Schnabelschuhe zu 
nähen von buntem Leder, deren Spitzen sich zuerst etwas in die Höhe 
erhoben und dann wie der Kamm eines Truthahns herabhingen. Es 
war Rittertracht, für die Bürger wollte der Rat nur geringe Länge der 
Schnäbel zulassen; aber das war vergeblich, die Zierlichkeit war nicht auf¬ 
zuhalten. Auch die Schuster hatten sich geteilt; wer moderne Schuharbeit 
von buntem Leder verfertigte, nannte sich, nicht überall, aber z. B. in 
Bremen: Corduaner; die anderen hießen schwarze Schuhmacher, sie hatten 
wieder die Altbüßer von sich ausgeschlossen, diese saßen als kleine Leute 
in besonderen Ständen bei ihrer Bastelarbeit. Die Schneider, eine sehr 
wichtige und ansehnliche Innung, waren zumeist durch die Mode ge¬ 
plagt; schon damals war Klage, daß ein Meister, der im vorigen Jahre 
noch zur Zufriedenheit gearbeitet hatte, jetzt gar nichts mehr galt, weil 
er die Kunst der neumodischen gerissenen und geschlitzten Kleider nicht 
verstand. 
Daß die Handwerker sich stolz in ihrer Kunst fühlten, sah man 
schon auf der Straße an den Häusern, wo ihre Jnnungsstuben waren. 
Denn sie hatten, wie die Geschlechter, ein schönes Wappen dran gemalt. 
Das hatten sie sich selbst gesetzt nach alter Überlieferung, vor anderen 
die Schmiede, welche Hammer und Zange in einem Schilde führten, 
nach dem Sagenhelden ihres Handwerks, dem Witege, dem Sohn Wielands 
des Schmieds; oder es war ihnen neulich gar von einem deutschen König 
verliehen worden, weil sie ihm tapfer beigestanden; so sahen die Wei߬ 
bäcker freudig auf ihre gekrönte Brezel; denn sie wurde von zwei 
schreitenden Löwen gehalten, welche in den anderen Branken ein Schwert 
hielten, und war ihnen von Kaiser Karl IV. wegen ihres Löwenmuts 
zugeteilt worden. 
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