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Großvaters, des wilden Hagen von Irland, nicht verloren sei. Dem
alten Wate lachte das Herz, wenn Ortwin in jeder Art von Sprung
und Stoß den Meister zu erreichen suchte; denn er selbst hatte nach
dem Wunsche der Eltern den Knaben im Stürmeland erzogen. „Der
junge Bär, pflegte er mit behaglichem Brummen zu sagen, fängt an
das Mark in den Knochen zu fühlen."
Gudrun selber wußte von ihrer Schönheit nichts, denn niemand
hatte ihr davon ein Wort gesagt, aber weit und breit erscholl der Ruf
von ihrer Lieblichkeit und ihren Tugenden. Auch dem König Siegfried
von Moorland ward kund, daß sie die schönste und herrlichste aller
Jungfrauen sei, und weil er sich selbst für so mächtig hielt, daß keiner
sich seiner Kraft vergleichen durfte, warb er um ihre Hand. Aber die
stolzen Eltern versagten ihm die Tochter; sie schiene ihnen zu hehr,
ließen sie dem König Siegfried durch seine Abgesandten sagen, als daß
sie in Sumpf und Moor Unkenkönigin werden sollte. Da schwur der
beleidigte Werber sich zu rächen.
Auch im fernen Lande der Normannen ward bekannt, kein Weib
auf Erden sei so schön wie Gudrun, König Hettels Tochter. Der Nor¬
mannenkönig Ludwig und seine Gemahlin, die stolze Gerlinde, hatten
schon längere Zeit bedacht, daß es Zeit sei, ihren Sohn Hartmut zu
vermählen; nun kam der ehrgeizigen Mutter der Gedanke, ihrem Hause
noch höheren Glanz zu erwerben durch die Verbindung Hartmuts mit
der weitgepriesenen Tochter des mächtigsten und reichsten Königs. Der
alte Ludwig schüttelte den Kopf zu dem Vorschlag: ihm deuchte es ge¬
fährlich, in so weite Ferne Boten zu senden, denn Hettel und Hilde
seien stolz und sie würden ihr Kind nicht auf Nimmerwiedersehen von
sich lassen. Aber dem Drängen der ehrgeizigen Gerlinde und dem Ver¬
langen Hartmuts gab endlich Ludwig nach, und er sandte sechzig aus¬
erlesene Helden mit kostbaren Geschenken ins Land der Friesen. Als
diese um die Hand der Königstochter für Hartmut warben, da erwiderte
die stolze Hilde: „Mein Vater Hagen gab dem König Ludwig hundert
Burgen zu Lehen; wie mag er sich denn unterfangen, meine Tochter
für seinen Sohn zu begehren? Er ist ihr nicht ebenbürtig, sie wird
nie sein Weib. Braucht er eine Königin, so mag ihm sonstwo die
Werbung glücken." Da zogen die Boten in Scham und Sorge ab,
und Hartmut biß sich in die Lippe, als er die üble Antwort vernahm;
weil er aber von den Boten hörte, daß Gudrun noch schöner und lieb¬
licher sei, als der Ruf künde, gelobte er sich, was seiner Bitte versagt
sei, mit Gewalt zu ertrutzen. Die stolze Gerlinde aber warf einen
ingrimmigen Haß auf die Jungfrau, die sie nie gesehen hatte.
Inzwischen hatte auch der starke und edle König Herwig im nieder¬
ländischen Seeland von Gudruns Schönheit und Tugend gehört, und
da er in die Jahre kam, daß er einer Königin bedurfte, so beschloß er