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der Zauber der tropischen Natur entzückte ihn, doch eine zweite Heimat
fand er nie. Im Kampfe mit den Elementen ist der Jüngling zum
Manne gereift, viele Jahre ist er umhergestreift auf der weiten Erde,
Sinn und Verstand haben Befriedigung gefunden, nur nicht das Herz.
Stets schaut es zurück und sehnt sich nach jener friedlichen Stätte, die
ihm einst zu eng war; nach dem Buchenhain, dessen Laubdach das elter¬
liche Haus beschattete, nach dem rieselnden Bache, dessen murmelnde
Wellen seine Gedanken forttrugen zum Ocean.
Drei Jahre sind dahin geschwunden, seitdem die Fregatte die vater¬
ländischen Küsten verlassen, und die lange Zeit ist nicht spurlos an ihr
und ihrer Mannschaft vorübergegangen. Sie war reich an wechselvollen
Ereignissen, sie brachte manche Freude, aber auch vieles Leid. Wir
finden nicht mehr jene ungebundene, sorglose Heiterkeit an Bord, die
allen Widerwärtigkeiten eine lachende Stirn bot, die unbekümmert um
Zeit und Raum sich der Gegenwart freute uud aus ihren kargen Blüten
nur Honig zu saugen verstand. Die Gemüter scheinen ihre jugendliche
Frische eingebüßt zu haben, der heitere Gesang ist verstummt, das fröh¬
liche Lachen ertönt nicht mehr, und ein schwermütiger Ernst lagert auf
den Gesichtern.
Der Seemann wird oft um das, was er gesehen und erfahren,
beneidet; doch der Landbewohner weiß nicht, mit welchen Opfern er
diese Erfahrungen erkauft. Sie werden bei weitem nicht durch die Kämpfe
ausgewogen, die zu bestehen, nicht durch die Entbehrungen, die zu er¬
tragen sind. Und wenn auch der Seemann selbst diese kaum in Betracht
zieht, weil er nur seine Kraft an ihnen stählt und als Sieger über sie
triumphiert, so bedroht ihn oft ein anderer mächtigerer Feind, dem er
nicht zu entfliehen vermag, weil er sein Nahen nicht fühlt. Es ist der
tödliche Hauch des Tropenklimas, der ihn anweht, wenn sein Fuß den
fremden Boden betritt, den er mit dem Aroma der Blumendüfte ein¬
atmet, und der sein Blut vergiftet.
Auch an Bord des „Seestern" ist der tückische Feind erschienen. Er
hat das frische Rot der Wangen gebleicht, die jungen, kräftigen Körper
erschlafft und die Reihen der Besatzung gelichtet. Mancher der Kame¬
raden ist hinabgesenkt in den dunklen Schoß der Tiefe; es waren schwere
Opfer, welche das unbeugsame Schicksal forderte.
Doch seit kurzer Zeit ist neues Leben auf der Fregatte eingekehrt,
der düstere Ernst von den Gesichtern gewichen. Die Augen strahlen wieder
von Freude und Hoffnung, und ein Gesumme von Stimmen, aus dem
häufig ein heiteres Lachen hervorklingt, erfüllt die Räume des Schiffes.
Vor einer Stunde ist die europäische Post gekommen und hat ein großes
Paket Briefe gebracht. Mit klopfendem Herzen und zitternden Händen
werden sie erbrochen — sind sie Boten der Freude oder der Trauer?
Die sorgenvollen Züge der Leser verklären sich, die Briefe enthalten Gutes,