389
32. Abseits.
1. Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.
2. Laubkäfer hasten durchs Ge¬
sträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen;
Die Vögel schwirren aus dem Kraut —
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
3. Ein halbverfallen, niedrig Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen;
Der Kätner lehnt zur Thür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.
4. Kaum zittert durch dieMittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der ent¬
fernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten.
— Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.
Theodor Storm.
33. Äie
1. Ich kenne einen deutschen Strom,
Der ist mir wert und lieb vor allen,
Umwölbt von ernster Eichen Dom,
Umgrünt von kühlen Buchenhallen.
Ihn hat nicht wie den großen Rhein
Der Alpe dunkler Geist beschworen,
Ihn hat der friedliche Verein
Verwandter Ströme still geboren.
2. So taucht die Weser kindlich
auf,
Von Bergen traulich eingeschlossen,
Und kommt im träumerischen Lauf
Durch grüne Au'n herabgeflossen;
So windet sie mit leichtem Fuß
Zum fernen Meere sich hernieder
Und spiegelt mit geschwätzigem Gruß
Der Ufer sanften Frieden wieder.
3. Doch hat sie in der Zeiten Flug
Gar manche große Mär' erfahren,
Und ihre stille Woge trug
Viel Herrliches in fernen Jahren.
Weser.
Sie sah in ihrer Wälder Schoß
Des Adlers Siegerflügel wanken
Und von der deutschen Arme Stoß
Der ew'gen Roma Säulen schwanken.
4. Und als mit fester Eisenhand
Held Karl den deutschen Scepter
führte,
Da war es, wo im Weserland
Sich manche Stimme mächtig rührte;
Da hörte man des Kreuzes Ruf
Mit hellem Klang von den Gestaden
Und sah der Frankenrosse Huf
Sich in den nord'schen Wellen baden.
5. So meldet sie dir manchen Traum
Aus ihrer Vorzeit grauen Tagen
Und sieht dabei des Lebens Baum
Stets frisch an ihren Ufern ragen;
Es glänzen in der lichten Flut
Der Klöster und der Burgen
Trümmer,
Des Mondes und der Sonne Glut,
Des Turmes und derSegelSchimmer.