Full text: Deutsches Lesebuch für die sechste Klasse bayerischer Mittelschulen (Untersekunda) (6, [Schülerband])

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Außenhandel bestand ja auch wenig Bedürfnis nach einem solchen Ver¬ 
kehrsmittel. Noch in weit späterer Zeit galt der als schlechter Hausvater, 105 
der einkaufte, was sich auch im Hause Herstellen ließ, und so wurden 
nicht nur die Nahrungsmittel sondern auch die Kleidungsstücke fast durch¬ 
weg von den Konsumenten selbst hergestellt. In den Verhältnissen des 
Kleinbauern handelte es sich anfangs auch gewiß meistens um Natural¬ 
kredit. Der plebejische Kleinbauer entlieh von seinem begüterten patrizi-110 
schen Nachbar Saatkorn, Zucht- oder Jochtiere oder ähnliches und ver¬ 
sprach das Geliehene mit einem gewissen Aufschläge zu einem bestimmten 
Zeitpunkte zurückzuerstatten. Man braucht nicht einmal von vornherein 
anzunehmen, daß dieser Aufschlag ein besonders hoher, wucherischer ge¬ 
wesen ist; auch ohne dies wird man begreifen, daß es nur eines unbe-115 
rechenbaren widrigen Zufalles — etwa eines Hagelschlages, einer Vieh¬ 
seuche, eines Feldzuges — bedurfte um ihm die Erfüllung seiner Verbind¬ 
lichkeit unmöglich zu machen. Dann erging es dem armen Bäuerlein aber 
schlecht, dann konnte sein Gläubiger ihm in des Mortes verwegenster Be¬ 
deutung „das Fell über die Ohren ziehen", ohne daß irgend eine Gewalt 120 
im Staate ihn daran hätte hindern können. Das römische Schuldrecht 
war nämlich — vom Standpunkte der Menschlichkeit aus betrachtet — 
geradezu eine Ungeheuerlichkeit. Ganz einseitig erkannte es nur nach 
den sachlichen Gesichtspunkten ohne auf die persönlichen die mindeste 
Rücksicht zu nehmen. Der geringste Besitztitel des Gläubigers wurde darin 125 
höher geachtet als die wirtschaftliche Existenz, ja selbst als das Leben 
des zahlungsunfähigen Schuldners. Freilich war infolge dieser buchstäb¬ 
lichen Auffassung auch die Zache des Gläubigers verloren, wenn der Sach- 
befund auch nur in einer ganz unwesentlichen Kleinigkeit von seiner Dar¬ 
stellung abwich. Aber in der Hauptsache hatte doch der Schuldner unter 130 
diesem Rechte zu leiden, während der Gläubiger bei einiger Vorsicht 
sich vor Schaden wahren konnte *). 
Daß ein solches Schuldrecht in das römische Landrecht bei seiner 
ältesten Aufzeichnung aufgenommen werden konnte, ist eines der wichtigsten 
und sprechendsten Zeugnisse für die Art und Heftigkeit der damaligen 135 
Kämpfe, wenn der Schuldner schon zufrieden war durch die Aufzeichnung 
dieser Norm vor weitergehenden Mißbräuchen geschützt zu sein, so wirft 
das einen unsagbar düsteren Reflex auf die vorausgegangene Zeit, in 
welcher diese Grausamkeiten noch durch willkürliche Ausschreitungen ver¬ 
stärkt waren. 140 
Streng genommen kennt das alte römische Landrecht den Begriff 
des Darlehens überhaupt nicht, vielmehr wird es abgeschlossen in der 
Form des Kaufes, wer sein Grundstück belastet, verkauft es damit formell 
seinem Gläubiger und es ist lediglich dessen guter Wille, wenn er den 
Schuldner trotzdem in seinem Besitze läßt und ihm die Ausnutzung ge-145 
*) Line treffliche 5atire auf das römische 5chuldrecht ist der Handel zwischen 
Shglock und Antonio in Shakespeares Kaufmann von Venedig.
	        
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