Full text: Poesie (A, [Schülerband])

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folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Äther dem Strahl, 
sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern, 
sucht den ruhenden pol in der Erscheinungen Flucht. 
Körper und Stimme leihet die Schrift dem stummen Gedanken, 
durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt. 
Da zerrinnt vor dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes, 
und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht. 
Zeine Fesseln zerbricht der Mensch, der Beglückte! Zerriss' er 
mit den Fesseln der Furcht nur nicht den Zügel der Zcham! 
Freiheit ruft die Vernunft, Freiheit die wilde Begierde, 
von der heil'gen Natur ringen sie lüstern sich los. 
5lch, da reißen im Zturm die Nnker, die an dem Ufer 
warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der flutende Strom; 
ins Unendliche reißt er ihn hin, die Küste verschwindet, 
hoch auf der Fluten Gebirg wiegt sich entmastet der Kahn,' 
hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Zterne, 
bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst in dem Busen der Gott. 
Bus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, Glauben und Treue 
aus dem Leben, es lügt selbst auf der Lippe der Zchwur. 
Zn der herzen vertraulichsten Bund, in der Liebe Geheimnis 
drängt sich der Sykophant, reißt von dem Freunde den Freund, 
auf die Unschuld schielt der verrat mit verschlingendem Blicke, 
mit vergiftendem Biß tötet des Lästerers Zahn. 
Feil ist in der geschändeten Brust der Gedanke, die Liebe 
wirft des freien Gefühls göttlichen Udel hinweg. 
Deiner heiligen Zeichen, o Wahrheit, hat der Betrug sich 
angemaßt, der Natur köstlichste Stimmen entweiht, 
die das bedürftige herz in der Freude Drang sich erfindet; 
kaum gibt wahres Gefühl noch durch verstummen sich kund. 
Uuf der Tribüne prahlet das Necht, in der Hütte die Eintracht, 
des Gesetzes Gespenst steht an der Könige Thron. 
Jahrelang mag, jahrhundertelang die Mumie dauern, 
mag das trügende Bild lebender Fülle bestehn, 
bis die Natur erwacht, und mit schweren, ehernen Händen 
an das hohle Gebäu rühret die Not und die Zeit, 
einer Tigerin gleich, die das eiserne Gitter durchbrochen 
und des numidischen Walds plötzlich und schrecklich gedenkt, 
aufsteht mit des Verbrechens Wut und des Elends die Menschheit, 
und in der Usche der Ztadt sucht die verlorne Natur. 
(D, so öffnet euch, Mauern, und gebt den Gefangenen ledig, 
zu der verlassenen Flur kehr' er gerettet zurück! 
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