120
Die zweite Blütezeit der deutschen Dichtung.
ich in einer Sache eine Stärke zeigen möchte, in der, wie ich glaubte, sich
noch kein Deutscher allzusehr hervorgetan hatte. Aber plötzlich ward ich in
meinen Bemühungen durch Dero Befehl, nach Hause zu kommen, gestört. Was
daselbst vorgegangen, können Sie selbst noch allzuwohl wissen, als daß ich
Ihnen durch eine unnütze Wiederholung verdrießlich falle. Man legte mir
sonderlich die Bekanntschaft mit gewissen Leuten, in die ich zufälligerweise
gekommen war, zur Last. Doch hatte ich es dabei Dero Gütigkeit zu danken,
daß mir andere Verdrießlichkeiten, an denen einige Schulden Ursache waren,
nicht so heftig vorgerückt wurden. Ich blieb ein ganzes Vierteljahr in Kamenz,
wo ich weder müßig noch fleißig war. Gleich von Anfang hätte ich meiner
Unentschließigkeit, welches Studium ich wohl erwählen wollte, erwähnen sollen.
Man hatte derselben nun über Jahr und Tag nachgesehen. Und Sie werden
sich zu erinnern belieben, gegen was ich mich auf Ihr dringendes Anhalten
erklärte. Ich wollte Medicinam studieren. Wie übel Sie aber damit zufrieden
waren, will ich nicht wiederholen. Bloß Ihnen zu gefallen zu leben, erklärte
ich mich noch überdies, daß ich mich nicht wenig auf Schulsachen legen wollte,
und daß es mir gleich sein würde, ob ich einmal durch dieses oder jenes
fortkäme. In diesem Vorsatze reiste ich wieder nach Leipzig. Meine Schulden
waren bezahlt, und ich hätte nichts weniger vermutet, als wieder darein zu
verfallen. Doch meine weitläuftige Bekanntschaft und die Lebensart, die
meine Bekannte an mir gewohnt waren, ließen mich an eben dieser Klippe
nochmals scheitern. Ich sah allzudeutlich, wenn ich in Leipzig bleibe, so werde
ich nimmermehr mit dem, was mir bestimmt ist, auskommen können. Der
Verdruß, den ich hatte, Ihnen neue Ungelegenheit zu verursachen, brachte
mich auf den Entschluß, von Leipzig wegzugehen. Ich erwählte Berlin gleich
anfangs zu meiner Zuflucht. Es mußte sich wunderlich schicken, daß mich
gleich zu der Zeit Herr Lessing*) aus Wittenberg besuchte. Ich reisete mit ihm
nach kurzer Zeit dahin ab, einige Tage mich daselbst aufzuhalten und umzu¬
sehen und alsdann noch zur Sonnenfinsternis in Berlin zu sein. Aber ich
ward krank. Ich bin mir niemals selbst zu einer unerträglichem Last gewesen
als damals. Doch ich hielt es einigermaßen für eine göttliche Schickung;
wenn es nicht was Unanständiges ist, daß man auch in solchen kleinen und
geringen Sachen sich auf sie berufen will. Nach meiner Genesung beschloß
ich mit des Hrn. Vaters Einwilligung, in Wittenberg den Winter über zu
verbleiben, und hoffte gewiß, dasjenige wieder zu ersparen, was ich in Leipzig
zugesetzt hatte. Doch ich wurde bald gewahr, daß das, was in meiner
Krankheit und durch andere Umstände, die ich aber jetzo verschweigen will,
aufgegangen war, mehr als ein Quartal Stipendia ausmachte. Der alte
Vorsatz wachte also bei mir wieder auf, nach Berlin zu gehen. Ich kam und
bin noch da, in was für Umständen, wissen Sie selbst am besten. Ich hätte
längst unterkommen können, wenn ich mir, was die Kleidung anbelangt, ein
besseres Ansehen hätte machen können. Es ist dieses in einer Stadt gar zu
nötig, wo man meistens den Augen in Beurteilung eines Menschen trauet.
Nun beinahe vor einem Jahre hatten Sie mir eine neue Kleidung zu ver¬
sprechen die Gütigkeit gehabt. Sie mögen daraus schließen, ob meine letztere
Bitte allzu unbesonnen gewesen ist. Sie schlagen es mir ab unter dem Vor¬
wände, als ob ich, ich weiß nicht wem zu gefallen, hier in Berlin wäre.
Ich will nicht zweifeln, daß meine Stipendia wenigstens noch bis Ostern
Lessings Vetter Theophilus Gottlob.