Full text: Handbuch der deutschen Literatur (Teil 8 der Ausgabe A, Teil 5 d. Ausgabe B, [Schülerband])

Friedrich von Schiller. 
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Teuerste waren. Jede öffentliche Erscheinung Egmonts war ein Triumphzug; 
jedes Auge, das auf ihn geheftet war, erzählte sein Leben; ihren Kindern 
hatten ihn die Mütter bei ritterlichen Spielen gezeigt. Höflichkeit, edler 
Anstand und Leutseligkeit, die liebenswürdigen Tugenden der Ritterschaft, 
schmückten mit Grazie sein Verdienst. Auf einer freien Stirn erschien seine 
freie Seele; seine Offenherzigkeit verwaltete seine Geheimnisse nicht besser 
als seine Wohltätigkeit seine Güter, und ein Gedanke gehörte allen, sobald 
er sein war. Sanft und menschlich war seine Religion, aber wenig geläutert, 
weil sie von seinem Herzen und nicht von seinem Verstände ihr Licht empfing. 
Egmont besaß mehr Gewissen als Grundsätze; sein Kopf hatte sich sein 
Gesetzbuch nicht selbst gegeben, sondern nur eingelernt; darum konnte der 
bloße Name einer Handlung ihm die Handlung verbieten. Seine Menschen 
waren böse oder gut und hatten nichts Böses oder Gutes; in seiner Sitten¬ 
lehre fand zwischen Laster und Tugend keine Vermittlung statt; darum 
entschied bei ihm oft eine einzige gute Seite für den Mann. Egmont ver¬ 
einigte alle Vorzüge, die den Helden bilden; er war ein besserer Soldat 
als Oranien, aber als Staatsmann tief unter ihm; dieser sah die Welt, wie 
sie wirklich war, Egmont in dem magischen Spiegel einer verschönernden 
Phantasie. Menschen, die das Glück mit einem Lohn überraschte, zu welchem 
sie keinen natürlichen Grund in ihren Handlungen finden, werden sehr leicht 
versucht, den notwendigen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung 
überhaupt zu verlernen und in die natürliche Folge der Dinge jene höhere 
Wunderkraft einzuschalten, der sie endlich tolldreist, wie Cäsar seinem Glücke, 
vertrauen. Von diesen Menschen war Egmont. Trunken von Verdiensten, 
welche die Dankbarkeit gegen ihn übertrieben hatte, taumelte er in diesem 
süßen Bewußtsein wie in einer lieblichen Traumwelt dahin. Er fürchtete 
nichts, weil er dem unsichern Pfande vertraute, das ihm das Schicksal in der 
allgemeinen Liebe gegeben, und glaubte an Gerechtigkeit, weil er glücklich 
war. Selbst die schrecklichste Erfahrung des spanischen Meineids konnte nachher 
diese Zuversicht nicht aus seiner Seele vertilgen, und auf dem Blutgerüste 
selbst war Hoffnung sein letztes Gefühl. Eine zärtliche Furcht für seine 
Familie hielt seinen patriotischen Mut an kleinern Pflichten gefangen. Weil 
er für Eigentum und Leben zu zittern hatte, konnte er für die Republik nicht 
viel wagen. Wilhelm von Oranien brach mit dem Thron, weil die willkürliche 
Gewalt seinen Stolz empörte; Egmont war eitel, darum legte er einen Wert 
auf Monarchengnade. Jener war ein Bürger der Welt; Egmont ist nie 
mehr als ein Fläminger gewesen. 
18. Aus dem Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. 
fSiehe Goethe, Nr. 24. Seite 189.]
	        
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