Full text: Handbuch der deutschen Literatur (Teil 8 der Ausgabe A, Teil 5 d. Ausgabe B, [Schülerband])

Wolfram von Eschenbach. 
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Die Kön'gin bat ihn mit Bedachts 
nur noch zu bleiben diese Nacht: 
„Du sollst mir nicht von hinnen kehren, 
ich will zuvor dich Klugheit lehren: 
Du mußt auf ungebahnten Straßen 
die dunkeln Furten liegen lassen; 
doch siehst du seicht sie, hell und rein, 
so reite nur getrost hinein. 
Mußt auch dich schicklich stets betragen, 
niemandem deinen Gruß versagen, 
und wenn ein grauer, weiser Mann 
dich Zucht will lehren, nimm dir's an; 
nichtzürn ihm drob; folg ihm mit Fleiß, 
weil er gewiß es besser weiß. 
Und Sohn, laß dir empfohlen sein: 
Wenn gutes Weibes Ring und Grüßen 
du kannst erringen, geh drauf ein; 
das wird dir manches Leid versüßen. 
Nach ihrem Kuß magst du verlangen 
und herzig ihren Leib umfangen; 
denn das gibt Glück und hohen Mut, 
ist anders züchtig sie und gut. 
Und wisse ferner auch, mein Sohn: 
Der stolze Lähelin entwand 
zwei Lande deinen Fürsten schon, 
die dienen sollten deiner Hand, 
das ist Waleis und auch Norgals. 
Deiner Fürsten einem, Turkentals, 
gab er den Tod; mit Raub und Mord 
sucht grausam heim dein Volk er dort." 
„Das räch' ich, Mutter! — Will es 
Gott, 
so trifft ihn schwer mein Javelotl" 
Als morgens kaum der Tag erschien, 
stand einzig nur des Knaben Sinn 
darauf, zu Artus fortzueilen. 
Die Kön'gin küßt' ihn, lief ihm nach — 
weh, wer vermag ihr Leid zu teilen, 
als ihrem Aug' der Sohn gebrach! 
Fort ritt er —ach, zu wessen Freude? 
Zu Boden sank Frau Herzeleide, 
und es brach ihr treues Herz 
im Übermaß von Leid und Schmerz. 
Hinaus ins wechselreiche Leben stürzt parzival, ein Bild des tiefen deutschen 
Iünglingsgemütes voll täppischer Unschuld und Reinheit, ein Bild tragikomischen 
Gegensatzes zwischen der Taten- und Wanderlust, die ihn von hinnen treibt, und dem 
Heimatsgefühl, das ihn immer wieder zurückziehen möchte. 
Und wie anders ist die rauhe Wirklichkeit als die erträumte Welt seiner leb¬ 
haften und arglosen Phantasie! Erst allmählich führt ihn diese unvermeidliche, bittere 
Lebenserkenntnis zur Höhe empor. Leid und Irrwahn läutern und erziehen nach und 
nach die edle, groß angelegte Iünglingsseele, die gleich der Schönheit des wohlgebildeten 
Leibes selbst aus dem Narrengewande hervorschimmert. 
Aber was er zunächst beginnt, das bringt Unheil anderen und auch ihm selbst. In 
seiner Herzenseinfalt folgt der Jüngling gewissenhaft der Rkutter Weisungen, auch wo es 
ihn als einfältig erscheinen läßt, Hatte jene, um ihn durch eine ernsthafte Liebe von 
seiner Abenteuerlust zu heilen, ihn gewiesen, guten Weibes Gruß und Ruß und Ring 
zu gewinnen, so raubt er gleich der ersten Schönen, der Herzogin Ieschute, die er in 
einem prachtvollen Zelte, in holdestem Rlinnczauber schlafend, antrifft, Ruß und Ring 
und Spange, so daß ihr Gatte, Herzog Grilus, hernach die Ärmste als untreu verstößt, 
weiter stürmend trifft parzival mit Sigune, seiner Base, zusammen, der Grilus soeben 
nicht ohne ihre eigene Schuld den geliebten Schionatulander in der Tjost erschlagen hat: 
ein ergreifendes Bild, wie Sigune mit dem teuren Leichnam auf den Rnien an der 
Landstraße sitzt und den Verlust des Geliebten beweint, von ihr erfährt der Jüngling 
seinen Namen, den er bis dahin nicht gekannt hat, und seine königliche Abkunft. 
Einem Fischer gibt er für ein Nachtlager die Ieschute abgenommene goldene Spange, 
und dieser zeigt ihm den weg nach Nantes, so gelangt er an Artus' Hof; jeden grüßt 
er, denn der Rkutter Rat ist sein Leitstern; aber bei jedem erregt sein Aufzug Staunen 
und Verwunderung. Runeware, Drilus' Schwester, die nicht eher lachen wollte, als bis 
sie den trefflichsten Ritter gesehen, lacht laut bei seinem Anblick auf, und Antanor, der 
nicht reden wollte, als bis sie lache, bricht sein Schweigen. Der Zeremonienmeister
	        
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