III. Von den Dichtungsarten. §§ 15—19.
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wo man an dem breiten, ruhigen Strome des Heldenepos kein Gefallen
mehr fand, sondern im Interesse der Unterhaltung eine rascher nach dem
Ziele sich bewegende Handlung begehrte, haben sich die Stoffe der alten
Epen häufig durch Neubearbeitungen in Romane verwandelt, wie die
Ballade zum Heldenepos, so verhält sich die Novelle zum Roman. Sie
hebt einen besonders interessanten Zug aus dem Leben ihres Helden hervor
und legt dabei das Hauptgewicht auf die Entwicklung der Tatsachen. Sie
hat daher wie die Ballade einen dramatischen Charakter.
Nebenarten der epischen Dichtung. — Endlich zählt man noch § 18.
zur epischen Poesie gewisse vichtungsarten, welche ihrem Wesen nach sich
freilich nicht so sehr an Phantasie und Gefühl, als vielmehr an die Er¬
kenntnis wenden, die jedoch zur epischen Poesie gerechnet zu werden pflegen,
weil sie das Wesen eines Gegenstandes darstellen, sei dieser nun ein wirk¬
liches Objekt oder etwas Rbstraktes. Zur ersten Gruppe gehört das
Rätsel, das die Merkmale eines Dinges vorführt, damit dieses selbst
daraus gefolgert werde- die zweite Gruppe begreift in sich vornehmlich das
Epigramm und die Satire. Das Epigramm („Rufschrift"), ursprünglich
nichts anderes als eine auf Denkmälern usw. angebrachte bedeutungsvolle
metrische Rufschrift, spricht ein sittliches Urteil in scharfer, kerniger weise
aus- häufig schickt es eine kurze Tatsache voran, die nun überraschend
ihre Ruslegung findet. Eine Nebenart des Epigramms oder Sinngedichtes
ist die Gnome oder der Denkspruch, der poetische Rusdruck eines allgemeinen
Gedankens aus dem Gebiete der Lebensweisheit. Die Satire oder das Spott¬
gedicht geißelt, meistens in den formen der Ironie, die Torheiten und
Schwächen der Menschen.
Das Drama. — Die epische und lyrisch-epische Poesie ist der § 19.
Rnfcmg der Dichtung: die späteste Gattung und höchste Vollendung
derselben ist das Drama (die „Handlung"). Es ist seinem Stoffe oder
seiner „Fabel" nach episch- — auch insofern, als die Persönlichkeit
des Dichters darin, wie im Epos, ganz in den Hintergrund tritt. Rber
in den Worten und vornehmlich in den Handlungen der im Drama auf¬
tretenden Personen spricht sich deren Gemütsstimmung lebhaft und Teil¬
nahme erregend aus,
Die nach bestimmtem Ziele hin sich entwickelnde Handlung des Dramas
hat als wesentliche Züge die Darlegung ihrer Rusgangspunkte oder die
Rnknüpfung der dramatischen Fäden, ferner die Verwicklung der¬
selben und endlich deren Ruflösung. Indem die Verwicklung oder der
dramatische Konfliit näher ins Rüge gefaßt wird, ergeben sich folgende
fünf Cntwicklungspunkte des Dramas:
1. die Rnknüpfung oder Exposition-
2. der Beginn der Verwicklung oder die Schürzung des dramatischen
Knotens;
z. der Hauptzusammenstoß der feindlichen Gewalten oder der Höhe¬
punkt des dramatischen Konflikts,-
4. der Umschwung oder die Wendung der Handlung, die Peripetie -
5. die Ruflösung oder Katastrophe.
Das Drama verlangt die Einheit der Handlung, das heißt eine
Haupthandlung, um welche sich alle übrigen als um ihren Mittelpunkt
reihen. — Die Personen des Dramas müssen Charaktere sein, Menschen,