Full text: Deutsches Ringen (Band 7, [Schülerband])

unbewußt — man möchte sagen : oft zufällig — aus meist wirt¬ 
schaftlichen Notwendigkeiten emporwuchs. 
Der Farmer, der in den Wäldern Pennsylvaniens mit der Axt 
den Platz für sein Heim sich rodete, oder der Kommis, der im Kontor 
von Bombay seine Abschlüsse machte, wußte sicherlich nicht, 
daß seine Arbeit am letzten Ende mit dazu beitragen sollte, ein 
englisches Weltreich aufzurichten; und in der Regel hatte keiner 
von beiden auch nur Kenntnis davon, daß an der anderen Seite 
der Erde überhaupt eine Tätigkeit wie die des andern stattfand. 
Es war wie das Emporwachsen einer Korallenbank: die Koralle, 
die ihren kleinen Lebensbedürfnissen nachgeht, ahnt nicht, daß 
sie dadurch an den Grundlagen neuer Länder und Erdteile bauen 
hilft. So bildet der Gott der Geschichte seine großartigsten 
Schöpfungen aus individuellen, scheinbar ganz auf egoistische und 
meistens kleinliche Ziele gerichteten Willensbestrebungen. Diesen 
Stempel des Urwüchsigen, unbewußt Emporgewachsenen trägt die 
Geschichte der englischen Kolonialpolitik in hohem Maße. „Wir 
scheinen in einem Anfall von Geistesabwesenheit die halbe Welt 
erobert und bevölkert zu haben,“ sagt Seeley in seinem Buch 
„Expansion of England“. Auf der anderen Seite freilich war Aus¬ 
dehnung des Kolonialbesitzes und Erwerb neuer Länder doch fort¬ 
dauernd seit den Tagen Elisabeths eines der Ziele englischer Politik. 
Wenn der Staat auch weit davon entfernt war, bewußt eine Welt¬ 
machtpolitik im theoretischen Sinne zu treiben, so galt doch die 
Angliederung neuer Gebiete jenseits der Meere stets als ein wesent¬ 
liches Mittel für die Ausdehnung des Handels und die Steigerung 
der nationalen Macht. Ohne diese Anschauung in den leitenden 
Köpfen hätte der einzelne nicht die Grundlage für seine kolonisa¬ 
torische Arbeit finden können — gleichviel, ob er abenteuernd 
auszog, um die Flagge seines Volkes in unbesetzten Ländern auf¬ 
zupflanzen, oder ob er auswanderte, um in einer der bereits be¬ 
gründeten Kolonien sein Glück zu versuchen. In beiden Fällen 
war er auf den Rückhalt angewiesen, den er in der Macht seines 
Vaterlandes daheim fand. 
1584 erhielt Sir Walter Raleigh sein Patent von der Königin 
Elisabeth, welches die Gründung Virginias in Nordamerika zur 
Folge hatte, und 1600 wurde die Charter der anglo-ostindischen 
Kompagnie erteilt, aus welcher die Eroberung Ostindiens für Eng¬ 
land sich ergeben hat. Diese beiden Daten sind der Ausgangs¬ 
punkt dieser merkwürdigen geschichtlichen Entwicklung, deren Er¬
	        
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