Full text: Deutsches Ringen (Band 7, [Schülerband])

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Übel klangen die Glocken. Die große war zersprungen. Gleich 
am Anfang des Krieges hatten die Mansfelder sie und die mittlere, 
die nicht mehr da war, zum Turm hinabgeworfen und mitgeschleppt. 
Die große fand man später im Walde; aber auch so klang es den 
Alten wie Himmelsgeläute. 
Und doch war keine rechte Freude. Das Andenken an das er¬ 
littene Elend stand grausig aus. Jeder gedachte seines Verlustes, 
und die vielen Wunden der Seele bluteten alle zusammen. Starr 
sahen sich die Leute an, verstört standen sie auf der Gasse umher. 
Aber niemand zweifelte an der Wahrheit der Botschaft. 
Von zwei Männern gestützt, kam der alte Pfarrer die Straße 
herab. „Die Lore geht zum Nachtmahl," sagten die Leute. Biele 
schlossen sich an. Der Zug ging nach dem letzten Hause. 
Der Pfarrer trat mit dem Nachtwächter und dem ältesten Sohne 
des Schullehrers in die Stube der Sterbenden. Ein Span wurde 
angezündet und an der Wand befestigt. Der Sigrist bereitete das 
Nachtmahltischlein am Bette der Kranken. Der Pfarrer beugte sich 
nieder, und wie ein starkes Geräusch keuchten die klanglosen Worte: 
„Es ist Friede; wollt Ihr jetzt zum Nachtmahl?" 
Da suchte die Frau angstvoll mit den Augen und tastete auf 
der Bettdecke herum. „Wollt Ihr?" wiederholte der Pfarrer. „Seht, 
Ihr müßt sterben! Macht Friede mit Eurem Gott und ziehet hin 
in Frieden!" Die Greisin riß die Augen auf und sah den Pfarrer 
starr an. „Wo ist das Salzfaß?" flüsterte sie. Der Nachtwächter 
sagte: „Sie ist irr." Da trat ein harter, verschlossener Zug auf 
das Antlitz der Sterbenden. „Ich will —" stöhnte sie. „Was wollt 
Ihr, Mutter?" fragte der Sohn und nahm sie in den Arm. „Ich 
will so sterben," hauchte sie und deutete mit der Hand nach der Mauer. 
„Sie will der Wand zu sterben," sagte der Sohn. 
In diesem Augenblick ging die Tür auf. Eiu Haufen Männer 
stand draußen. „Sachte, langsam!" riesen sie sich zu, und halb führten, 
halb trugen sie den Enkelsohn der Sterbenden herein. Die Kleider 
hingen ihm in blutigen Fetzen vom Leib, die Brust war eine Lache, 
aus der es dick und schwarz herausquoll. Die Männer wollten ihn 
in die Kammer bringen, aber mit starrem Blick sah der Todwunde 
nach der Großmutter Bett, und seine wankenden Beine strebten dort¬ 
hin. Er sank nieder auf das Bett, so daß es über und über mit
	        
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