„Mutter," schrie der Sohn, „Euch rechn' ich's zu, wenn er mir
verdirbt!"
Die Kranke murmelte Unverständliches. Ihre Zähne schlugen zu¬
sammen. Beide schwiegen. Es wurde völlige Nacht in der Stube. Nur
die Augen der Hauskatze leuchteten unter dem Ofen herauf.
Als der Orion über das Scheunendach schaute, stand der Mann auf,
nahm das Horn von der Wand und verließ wortlos die Stube. Die
Katze strich ihm nach bis an die Tür, dann sprang sie auf den Fenster¬
sims. Aber es wehte ein kalter Zug herein. Mit ein paar Sätzen war
sie wieder am Ofen, legte sich auf den alten Platz, und ihre Augen
leuchteten nach dem Bette der Sterbenden hinüber.
Derweil stieg der Orion höher und höher, und jetzt schauten seine
Sterne in die Waldschlucht hinein gleich unten im Dorf. Wolfsloch hieß
sie, und die Leute wußten, warum. Das Sternenlicht drang hinab bis
auf den schmalen, finsteren Grund. Dort lag eine dunkele Masse, fast
regungslos, Mensch und Tier im Ringen auf Leben und Tod. Oben am
Eingang zur Schlucht stand der Nachtwächter und spähte hinab. Aber
der Blick ging über den Knäuel hinweg, und der Kampf war lautlos;
der sausende Odem der Ringenden verwehte, ehe der Lufthanch von dort
heraufkam. In dem Augenblick, als der Vater sich umwandte dem Dörf-
lein zu, tauchte aus der Tiefe der Schlucht ein irrer Blick in das blinkende
Sternenlicht, und mit Himmelsgewalt schlug wie ein siegreicher Blitzstrahl
ein Seelenschrei in die Unendlichkeit: „Herr Gott, ich muß der Altmntter
zum Nachtmahl helfen."
Der Nachtwächter war langsam hinanfgesüegen auf den Kirchhofhügel.
Man sah dort am weitesten umher. Er spähte in die schneelose Land¬
schaft hinaus, sein Blick weilte ein wenig bei den dunkeln Tannen, die
das Wolfsloch zudeckten. Dann ging der Mann langsam über den hellen
Friedhof. An einem großen Grabhügel stand er stille. Hier lagen sieb¬
zehn, die auf zwei Tage an der Pest gestorben waren. Darunter auch
sein Weib und zwei Mägdlein. Ein drittes, die älteste, hatte das Kriegs¬
volk mitgeschleppt. Sie war nimmer heimgekommen.
Nimmer heimgekommen! Da schnürte es ihm das Herz zu. Er
dachte an seinen Buben. Aber wie er nun, um von neuem zu spähen
und zu lauschen, das Antlitz hob, leuchteten ihn die Sterne so mild und
tröstlich an, daß ihm die Angen feucht wurden. Und mit einem Male
fiel ihm ein: „Heute ist der Heiland geboren!" Er schaute nach dem Stand
der Gestirne. Es war um die halbe Nacht. Er nahm sein Horn und
blies die zwölfte Stunde. Dann schritt er den Hügel hinab. Als er von
der sternhellen Höhe in die finstere Dorfgasse getreten war, hielt er still
und hub mit lauter Stimme zu singen an: