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Einmachen und Pökeln für die Vorratskammer ist am Nachmittage
leicht Zeit zu finden. Dann kommen die Kinder aus der Schule, bringen
Leben und allerlei Berichte über wunderbares Gehörte, Gelernte und
Gesehene ins Haus. Mit Schularbeiten plagen sich in Japan nur
Minderbegabte oder hervorragend ehrgeizige Kinder zu Hause länger als
eine halbe Stunde. Es bleibt also für Mädchen reichlich Zeit, um Musik
und Tanzbewegungen japanischen Stils im Hause zu erlernen. Knaben
brauchen ihre Freistunden, um sich sportlich zu trainieren, damit sie ihrer
Schule und ihrer Familie Ehre machen. Die Amerikaner in Aokohama
haben sich schon ganz daran gewöhnt, daß sie in ihrem nationalen
du86-baI1 von den Schülern des ersten Gymnasiums in Tokio jahraus
jahrein geschlagen werden.
Wenn dann auch der Hausherr zwischen fünf und sechs Uhr heim¬
gekehrt ist, es sich bequem gemacht und ein Bad genommen hat, wird von
der vereinigten Familie die Abendmahlzeit wieder gemeinsam eingenommen.
Dann nimmt die Unterhaltung einen lebhafteren Gang an. Der Vater,
der ja alles wissen muß, wird von den Kindern ebenso eindringlich aus¬
gefragt, wie er sich durch Examinieren und Einblick in die Schulhefte
von dem Fortschritt seiner Pflegebefohlenen überzeugt. Dann wird es
Zeit, das Bad zu nehmen; in feststehender Reihenfolge steigen Mutter,
Kinder, Dienerinnen und Wagenzieher nacheinander in das heiße Wasser,
das dem Hausherrn schon vor dem Abendessen zum Bad gedient hat,
und das in der sorgfältig zugedeckten Holzwanne infolge des Nach¬
schüttens von Kohlen seine Temperatur eher erhöht als vermindert hat.
Aus dem Bademantel schlüpfen die Kinder, nachdem sie sich erholt haben,
in ihre dunklen Nachtgewänder, wünschen, auf den Boden gestreckt,
ihren Eltern eine gute Ruhe und schlafen auf ihren Decken nebeneinander
bald ein, wenn sie sich genug Geschichten erzählt und harmlos geneckt
haben. Der Vater bringt wohl noch eine Stunde mit Lesen und
Schreiben zu; die Mutter macht aus den Lieferungsbüchern der Händler
und dem Gedächtnis ihre Eintragungen in das Haushaltungsbuch, das
am Schlüsse des Monats der Hausherr revidieren wird. Dann begeben
auch sie sich geräuschlos auf das Nachtlager, gewöhnlich kurz nach
zehn Uhr, und in dem verschlossenen, von Nachtlichtern matt erhellten
Hause ist es still, bis die Morgensonne im Osten emporsteigt und die
Holztür der Außenwand vor ihren lebenbringenden Strahlen sich öffnet.
110. 6me Monclscbemnacbt 6300 Meier über clem Meere.
Von Sven von Heckin.
Durch Asiens Wüsten. 1. Band. Leipzig 1899. 8. 224.
3unt viertenmal machte ich am 16. August 1894 den Versuch,
mit zehn Aaks und sechs Kirgisen nebst meinem Leibdiener Islam
Bai den Mus-tag-ata, einen der höchsten Berge der Welt, zu besteigen.
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