210
75 tmd wenn’s der Hausfreund für sich zu tun hätte, so wäre der
Herr Charles der Vetter; die Kinder wären versorgt, und die
Erzählung hätte ein Ende. Allein die Wahrheit ist oft sinniger
als die Erdichtung. Nein, der Herr Charles ist der Vetter nicht,
sondern dieses Namens ein anderer, und bis auf diese Stunde
80 weiß noch niemand, wie der wahre Vetter eigentlich heißt, nicht,
ob und wo in Petersburg er wohnt.
5. Also fuhr der arme Mann in großer Verlegenheit zwei
Tage lang in der Stadt herum und hatte Französiern feil. Aber
niemand wollte ihn fragen: „Wie teuer das Pärlein?“ und der
85 Herr Charles begehrte sie nicht einmal geschenkt und war noch
nicht willens eines zu behalten. Als aber ein Wort das andere
gab und ihm der Pole schlicht und menschlich ihr Schicksal
und seine Not erzählte, — „Eins, dachte er, will ich ihm ab¬
nehmen,“ und es füllte sich immer wärmer in seinem Busen.
90 „Ich will ihm zwei abnehmen,“ dachte er, und als sich endlich
die Kinder um ihn anschmiegten, meinend, er sei der Herr
Vetter, und anfingen, auf Französisch zu weinen — denn der
geneigte Leser wird auch schon bemerkt haben, daß die französi¬
schen Kinder anders weinen —, und als der Herr Charles die
95 Landesart erkannte, da rührte Gott sein Herz an, daß ihm
ward wie einem Vater, wenn er die eigenen Kinder weinen und
klagen sieht, und „In Gottes Namen, sagte er, wenn’s so ist,
so will ich mich nicht entziehen!" und nahm die Kinder an.
„Setzt Euch ein wenig nieder, sagte er zu dem Polen, ich will
100 Euch bin Süpplein kochen lassen.“
6. Der Pole, mit gutem Appetit und leichtem Herzen, aß
die Suppe und legte den Löffel weg — er legte den Löffel weg
und blieb sitzen — er stand auf und blieb stehen. „Seid so
gut, sagte er endlich, und fertigt mich jetzt ab, der Weg nach
105 Wilna ist weit. Auf fünfhundert Kübel hat die Frau mit mir
akkordiert.“ Da fuhr es doch dem milden Menschen, dem Herrn
Charles, über das Gesicht wie der Schaft n einer fliegenden
Frühlingswolke über die sonnenreiche Flur. „Guter Freund,
sagte er, Ihr kommt mir ein wenig kurios vor. Ist’s nicht
110 genug, daß ich Euch die Kinder abgenommen habe, soll ich
Euch auch noch den Fuhrlohn bezahlen?“ Denn das kann dem
redlichsten und besten Gemüt begegnen, wenn’s ein Kaufmann