Full text: Für Klasse IV der höheren Knabenschulen, Klasse VII der höheren Mädchenschulen (Band 5, [Schülerband])

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„Da kommt Ihr mir just recht, wenn ich bitten darf, den 
Herrn Kaiser tät ich gern ein wenig heimsuchen." 
„So. Ja, mein Lieber, das wird wohl etwas schwer gehen." 230 
„O, sagte ich, das geht leicht, mit dem Kaiser Joseph darf 
jeder reden, auch der Bauersmann — hab's wohl gelesen." 
„Der Kaiser Joseph?" fragte der Herr. Da habe ich ihm 
erzählt, wie ich von Steiermark hergekommen wäre, um den Kaiser 
Joseph zu sehen. 235 
Er sah mich lange an, war ernsthaft, lächelte und wurde 
wieder ernsthaft. Ich bin ganz zutraulich geworden und habe 
vieles erzählt, was mir über den guten Kaiser Joseph auf dem 
Herzen lag. 
25. Der Herr setzte sich auf eine Bank, nahm mich an der 240 
Hand und sagte: „Bursche, du bist ein sonderbarer Schwärmer. 
Da du aber schon nach Wien gekommen bist, um Kaiser Joseph 
den Zweiten zu sehen, so muß man dich auch zu ihm führen. 
Warte, jetzt haben wir neun Uhr. Um zehn Uhr stellst du dich 
vor den Eingang der Kapuzinerkirche, verstehst? Ich werde mich 245 
dort einfinden, dann wollen wir zusammen gehen." 
„Da bin ich wohl recht froh, antwortete ich, ein bissel scheuen 
tu ich mich aber auch, wenn's Ernst wird." 
„Kaiser Joseph tut dir nichts zuleide, sagte der Herr. Nun 
spaziere noch ein bißchen in der Stadt herum, und um zehn Uhr 250 
warte bei der Kapuzinerkirche! Du wirst sie leicht erfragen." 
26. So verließ ich das Haus, kam glücklich wieder an den 
zwei ungeheuren Pelzmützen vorüber, kam auf einen Garten hinaus, 
wo ich mich auf den Besuch beim Kaiser vorzubereiten suchte. Mir 
war unstet zumute. Es ist doch ein hoher Herr und kann mit 255 
seinen Untertanen machen, was er will. Aber ich rief alle Ge¬ 
schichten, die ich von ihm in den Volksbüchern gelesen hatte, in 
meine Erinnerung zurück: es ist ein edler, ein milder, ein gütiger 
Mann. Mit neuem Mute suchte ich die Kapuzinerkirche auf. 
27. Ich stand nicht lange dort, so kam jener Herr aus dem 260 
Kaiserhause heran und mit ihm ein geistlicher Bruder. Dieser
	        
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