Full text: [Siebenter Teil = Achtes Schuljahr] (Siebenter Teil = Achtes Schuljahr)

fühlten, und was wie ein Blitz alle Nerven und Herzen durchzuckte, 
daß es mit jenen für einmal und allemal vorbei, daß sie, matt und 
schlaff und ohnmächtig, zur alten Zeit zurückgeworfen seien und jetzt 30 
ein neues Jahrhundert der Dichtkunst beginne. Buch beim Eintreten 
unsers ersten klassischen Zeitalters zeigt sich etwas ähnliches: Heinrich 
von veldeke übte eine gleich plötzliche, zauberähnliche Macht auf 
seine Zeitgenossen aus,' er schuf einen neuen Vers, eine neue Sprache, 
neue Anschauungen, eine neue Dichtkunst - doch kann er mit Nlopstock ss 
kaum verglichen werden, denn die Stoffe lagen vor veldeke schon 
bereit, und seine allerdings fast wunderbare Wirksamkeit hat mehr 
die Form zum Gegenstände,' Nlopstock ist auch neu, groß, schöpferisch 
in der Form, aber er ist größer und schöpferischer im Stoffe,' die 
Geister seiner Zeit und der Nachwelt haben sich nicht allein durch 40 
ihn gebildet, sie haben sich an ihm entzündet,' er ist nicht der Lehrer 
der kommenden Geschlechter, diese seine Schüler — er ist im vollsten 
Sinne der Meister derer, die um ihn standen und nach ihm kamen, 
diese seine Jünger. 
Nlopstock war -- was wir durchaus voranstellen müssen — vor 45 
allem seinem innersten Nern und Wesen nach deutsch, deutsch an Ernst 
und an Tiefe, deutsch in Familiensinn und Vaterlandsliebe, deutsch 
in Einfachheit und Wahrheit, deutsch in Stärke des Naturgefühls und 
der schwermütigen Stimmung, die von dem deutschen Natursinn un¬ 
zertrennlich ist. Zeit einhundertdreißig Jahren, seitdem man in Deutsch- 50 
land den deutschen Zinn, das deutsche Gesamtgefühl verloren hatte, 
war des Nedens kein Ende gewesen von deutscher Sprache, deutscher 
Dichtkunst, deutschem Heldentum und was weiß ich sonst von deutscher 
Großheit und Herrlichkeit, grade von den Dingen, die man nicht 
hatte, im Grunde auch nicht haben wollte noch konnte, wohl aber 55 
zu haben sich einbildete,' mit jedem Jahrzehnt sollte die deutsche 
Dichtung deutscher, selbständiger, der ausländischen ebenbürtiger 
werden — und mit jedem Jahrzehnt wurde sie undeutscher, ab¬ 
hängiger, niedriger, eben durch die, die sie deutsch und selbständig 
zu machen meinten,' allesamt waren sie keine Deutschen, wollten sich so 
aber künstlich und gewaltsam zu Deutschen machen. Da trat Nlopstock 
auf, der sich nicht zum Deutschen machen wollte, der ein Deutscher 
war,' die deutsche Dichtkunst war wiedererlangt, da sie in einer 
lebendigen, frischen Persönlichkeit gleichsam Leib und Blut, Fleisch 
und Bein gefunden hatte. Durch eben diese wahrhaft deutsche Ge-65 
sinnung erweckte Xlopstock auch zuerst wieder eine regere, allgemeinere 
und aufrichtigere Teilnahme an der deutschen Geschichte und dem
	        
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