Full text: [Abteilung 1 = Klasse 3 und 2 (Achtes und Neuntes Schuljahr), [Schülerband]] (Abteilung 1 = Klasse 3 und 2 (Achtes und Neuntes Schuljahr), [Schülerband])

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Gestern früh 5 Uhr, nachdem ich bis 1 Uhr früh mit Moltke und 
den französischen Generalen über die abzuschließende Kapitulation 
verhandelt hatte, weckte mich der General Reille, den ich kenne, 
um mir zu sagen, daß Napoleon mich zu sprechen wünschte. Ich 
ritt ungewaschen und ungefrühstückt gegen Sedan, fand den Kaiser 
im offenen Wagen mit 3 Adjutanten, und 3 zu Pferde daneben 
haltend. Ich saß ab, grüßte ihn ebenso höflich wie in den Tuile- 
rien und fragte nach seinen Befehlen. Er wünschte den König zu 
sehen; ich sagte ihm der Wahrheit gemäß, daß Seine Majestät 
drei Meilen davon, an dem Orte, wo ich jetzt schreibe, sein Quartier 
habe. Auf Napoleons Frage, wohin er sich begeben solle, bot 
ich ihm, da ich der Gegend unkundig, mein Quartier in Donchery 
an, einem kleinen Orte in der Nähe dicht bei Sedan; er nahm es 
an und fuhr, von seinen sechs Franzosen, von mir und von Karl, 
der mir inzwischen nachgeritten war, geleitet, durch den einsamen 
Morgen nach unserer Seite zu. Vor dem Orte wurde es ihm leid 
wegen der möglichen Menschenmenge, und er fragte mich, ob er in 
einem einsamen Arbeiterhause am Wege absteigen könne; ich ließ 
es besehen durch Karl, der meldete, es sei ärmlich und unrein. 
„N’importe,“ meinte Napoleon, und ich stieg mit ihm eine ge¬ 
brechliche enge Stiege hinauf. In einer Kammer von 10 Fuß 
Geviert, mit einem fichtenen Tische und zwei Binsenstühlen saßen 
wir eine Stunde, die anderen waren unten. Ein gewaltiger Kon¬ 
trast mit unserem letzten Beisammensein 1867 in den Tuilerien. 
Unsere Unterhaltung war schwierig, wenn ich nicht Dinge berühren 
wollte, die den von Gottes gewaltiger Hand Niedergeworfenen 
schmerzlich berühren mußten. Ich hatte durch Karl Offiziere aus 
der Stadt holen und Moltke bitten lassen, zu kommen. Wir schickten 
dann einen der ersteren auf Rekognoszierung und entdeckten eine 
halbe Meile davon in Fronois ein kleines Schloß mit Park. 
Dorthin geleitete ich ihn mit einer inzwischen herangeholten Eskorte 
vom Leibkürassierregiment, und dort schlossen wir mit dem fran¬ 
zösischen Obergeneral Wimpffen die Kapitulation, vermöge deren 
40 bis 60000 Franzosen, genauer weiß ich es noch nicht, mit allem, 
was sie haben, unsere Gefangenen wurden. Der vor- und gestrige 
Tag kosten Frankreich 100000 Mann und einen Kaiser. Heute 
früh ging letzterer mit all seinen Hofleuten, Pferden und Wagen 
nach Wilhelmshöhe bei Cassel ab.
	        
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