Full text: Für Klasse V der höheren Knabenschulen, Klasse VIII der höheren Mädchenschulen (Band 6, [Schülerband])

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verwahrt. Die Hühner im Alpel legten keine hölzernen Eier, aber 
eine alte Hausiererin ging um, die mir, dem „gamperen*) Bübel", 
jenes schenkte, mit der genauen Anweisung, wie man es auseinander¬ 
schraube und Geld hineintue. Das erstere war keine Kunst, aber 10 
das letztere, wie man Geld hineintue, gelang mir nur, wenn ich 
eins hatte. Da nun aber der Mensch einmal das hohle, hölzerne 
Ei besitzt, so hat der liebe Gott die Hühner erschaffen, welche 
andere Eier legen, die so eingerichtet sind, daß sie die Mutter ver¬ 
kaufen kann. Und so schickte mich denn die Mutter stets mit 15 
einem Handkörbchen voll Eier zum Dorfwirt in Krieglach, woselbst 
ich für meinen Teil stets zwei Kreuzer „Tragerlohn" erhielt. 
Solche Einnahme tat ich regelmäßig in mein hölzernes Ei, welches 
ich sonach allemal fest zuschraubte und als Schatzkästlein auf¬ 
bewahrte. Ich erinnere mich noch, wie mir bei diesem Einschrauben 20 
der Kupferkreuzer einmal ein weitläufiger Vetter zugeschaut und 
gesagt hat: „Bub, du hast in deinem Ei ja kein Eiweiß drinnen! 
Da seh, ich geb dir eins." Und legte mir ein blinkend weißes 
Silbergröschlein hinein. So oft ich ins Dorf zur Kirche ging, nahm 
ich mein Ei mit. Und wenn ich dann am Obstkrämer vorbeiging oder 25 
am Lebkuchenstand, griff ich in den Sack nach meinem Ei, zog es aber 
nicht heraus, sondern dachte: Wenn ich wollt, ich kunnt mir gut 
Sach kaufen, aber ich mag nicht, ich heb mein Geld für den 
Thomastag auf. 
3. Und am Thomastag — es mochte schneien oder der alte 30 
Schnee vor Kälte winseln — gingen wir zur frühen, finsteren 
Morgenstunde mit einer Spanfackel den weiten Weg nach Krieg¬ 
lach zur Rorate und zum Markt. Als wir über den Kirchplatz 
schritten, wo bei Fackelbeleuchtung die Krämer ihre Buden errichteten, 
blickte ich jedesmal gegen das Eckhaus hin, an welchem schon ein 35 
leerer, kahler Bretterschragen stand, der mir das Herz rascher klopfen 
machte. Nach dem Gottesdienst drängte ich mich durch die surrende 
Menschenmasse und zwischen den prangenden Buden gegen das 
Eckhaus hin. An den Wänden und Dächern der Häuser lag schon 
der Schimmer des aufgehenden Tages; oftmals auch zitterte der 40 
Nebel von Schneeflocken nieder auf die wimmelnde Menschenmasse 
und auf die Zelte der Verkaufsstände, und da strebte ich mit doppelter 
1) Niedlichen, *) Frühgottesdienst im Advent.
	        
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