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Honigsatt mach ich Euch heute, so viel Ihr immer nur tragen 80
Möget." Es meinte der Schalk die Schläge der zornigen Bauern.
Reineke lief ihm zuvor, und blindlings folgte der Braune.
„Will mir's gelingen, so dachte der Fuchs, ich bringe dich heute
Noch zu Markte, wo dir ein bittrer Honig zuteil wird."
Und sie kamen zu Rüsteviels Hofe; das freute den Bären, 85
Aber vergebens, wie Toren sich oft mit Hoffnung betrügen.
Abend war es geworden, und Reineke wußte, gewöhnlich
Liege Rüsteviel nun in seiner Kammer zu Bette,
Der ein Zimmermann war, ein tüchtiger Meister. Im Hofe
Lag ein eichener Stamm; er hatte, diesen zu trennen, 90
Schon zwei tüchtige Keile hineingetrieben, und oben
Klaffte gespalten der Baum fast ellenweit. Reineke merkt' es,
Und er sagte: „Mein Oheim, in diesem Baume befindet
Sich des Honiges mehr, als Ihr vermutet; nun stecket
Eure Schnauze hinein, so tief Ihr möget! Nur rat ich, 95
Nehmt nicht gierig zu viel, es möcht Euch übel bekommen!"
„Meint Ihr, sagte der Bär, ich sei ein Vielfraß? Mit nichten!
Maß ist überall gut, bei allen Dingen." Und also
Ließ der Bär sich betören und steckte den Kopf in die Spalte
Bis an die Ohren hinein und auch die vordersten Füße. 100
Reineke machte sich dran; mit vielem Ziehen und Zerren
Bracht er die Keile heraus: nun war der Braune gefangen,
Haupt und Füße geklemmt; es half kein Schelten noch Schmeicheln.
Vollauf hatte der Braune zu tun, so stark er und kühn war.
Und so hielt der Neffe mit List den Oheim gefangen. 105
Heulend plärrte der Bär, und mit den hintersten Füßen
Scharrt' er grimmig und lärmte so sehr, daß Rüsteviel aufsprang.
Was es wäre, dachte der Meister und brachte sein Beil mit.
Daß man bewaffnet ihn fände, wenn jemand zu schaden gedächte.
Braun befand sich indes in großen Ängsten; die Spalte HO
Klemmt' ihn gewaltig, er zog und zerrte, brüllend vor Schmerzen.
Aber mit alle der Pein war nichts gewonnen; er glaubte
Nimmer von dannen zu kommen; so meint' auch Reineke freudig.
Als er Rüsteviel sah von ferne schreiten, da rief er:
„Braun, wie steht es? Mäßiget Euch und schonet des Honigs! 115