GS 133
Das geschah; sanft und wohlbehalten kamen sie noch vor Tages—
anbruch in Hellgrafens Hof an, der am St. Georgentor lag, linker
Hand, wenn man aus der Stadt ging. Im Morgenschlaf hörte Heinrich
bekannte Glocken läuten, und er sprach: „Mir ist, als hätte ich diese
Glocken schon gehört, und es deucht mich, ich wäre in Eisenach.“ — „Dir
träumt wohl,“ sprach da Meister Klingsor. Heinrich aber stand auf und
sah sich um, da merkte er, daß er in Thüringen war. ‚Gott sei Lob,
daß wir hier sind!“ sprach er. „Das ist Hellgrafens Haus, und hier sehe
ich das Tor von St. Georg und die Leute, die davor stehen und über
Feld gehen wollen.“
Sogleich verbreitete sich die Nachricht von der Ankunft der beiden
in ganz Eisenach, und auch auf der Wartburg vernahm man, daß
Heinrich von Ofterdingen wieder angekommen sei und den Meister
uͤlingsor mitgebracht habe; und die Sänger gingen von dem Schlosse,
den Meister mit Ehrenbezeigungen und Geschenken zu bewillkommnen, wie
es der Landgraf ihnen geheißen hatte. Als man den Ofterdingen fragte,
wie es ihm ergangen, und wo er gewesen, antwortete er: „Gestern abend
ging ich in Ungarn schlafen, und zur Zeit der Frühmette war ich heute
hier. Wie das aber zugegangen ist, das weiß ich nicht.“ So vergingen
etliche Tage, bevor die Sänger vor Klingsor sangen.
Nun geschah es, daß Meister Klingsor eines Abends in seines Wirtes
Garten saß und die Gestirne betrachtete, lange auf eine Stelle des
Himmels hinschauend. Und es waren viele ehrbare Leute von des Fürsten
Hofe und ein Teil der Bürger aus der Stadt gegenwärtig, die den
Äbendtrunk zu sich nahmen. Diese baten den Meister, ihnen etwas Neues
zu sagen, wie er oft zu tun pflegte, und weshalb man immer gern bei
ihm war. „Ich will euch,“ sprach er da, „neue fröhliche Mär sagen.
In dieser Nacht wird meinem Herrn, dem Könige von Ungarn, eine
Tochter geboren, die wird Ludwig, dem Sohne eures Fürsten, zur Ehe
gegeben werden, und von ihrer Tugend und Heiligkeit wird dieses Land
und die gesamte Christenheit großen Segen haben.“
Das hörten die Herren von Hessen und Thüringen, die in Meister
Klingsors Herberge gekommen waren, mit großer Freude, eilten zur
Wartiburg zurück, und als Landgraf Hermann des Morgens die Messe
angehört hatte, verkündeten sie ihm die Worte, die sie von dem Meister
vernommen hatten. Der Fürst verwunderte sich gar sehr darüber und
ritt sogleich hinab, Meister Klingsor zu empfangen und auf sein
Schloß zu führen, damit er ihm und der Landgräfin noch einmal die
frohe Nachricht sagen möchte. Da war ein großer Zulauf und ein Gerede
unter dem Hofgesinde von den fröhlichen neuen Mären. Dem Meister
Klingsor zu Ehren aber ward ein festliches Mahl bereitet.
Als Klingsor sich genug mit dem Landgrafen unterhalten und ihm
auf seine Fragen geantwortet hatte, begab er sich nach dem Rittersaale