Full text: Deutsches Lesebuch für Volksschulen

282 
Otto's Hände, der alle Gefangenen befreite. Erst am Abend des 
blutigen Tages sammelten sich wieder die Deutschen. Manch wackerer 
Mann fehlte in ihren Reihen; Freude und Trauer erfüllten die 
- Herzen der Sieger. Am andern Tage wurden die Ungarn weiter 
verfolgt, und eine Menge der Feinde fand noch den Tod; nur wenige 
entrannen dem Verderben. Otto wurde von dem jubelnden Heere 
wie einst Heinrich als Vater des Vaterlandes begrüßt. Wie 
dieser wies er den Ruhm des Kampfes von sich ab; nur dem 
Allmächtigen, sagte er, danke man den Sieg, und Gott die Ehre 
gebend, zog er mit seinem Heere im festlichen Zuge zu allen Kirchen 
der Stadt Regensburg. 
Den Ungarn aber verging die Lust, fernerhin wieder in 
Deutschland einzufallen. 
248. Kaiser Otto I. 
1. Zu Quedlinburg im Dome ertönet Glockenklang, der Orgel 
Stimmen brausen zum ernsten Chorgesang-, es sitzt der Kaiser 
drinnen mit seiner Kitter Macht, voll Andacht zu begehen die 
heil’ge Weihenacht. 
2. Hoch sitzt er in dem Kreise, von männlicher Gestalt, das 
Auge scharf wie Blitze, von goidnem Haar umwallt; man hat ihn 
nicht zum Scherze den Löwen nur genannt, schon mancher hat 
empfunden die löwenstarke Hand. 
3. Wohl ist auch jetzt vom Siege er wieder heimgekehrt, 
doch nicht des Reiches Feinden hat mächtig er gewehrt; es ist 
der eigne Bruder, den seine Waffe schlug, der dreimal der Em¬ 
pörung blutrothes Banner trug. 
4. Zu Quedlinburg vom Dome ertönt die Mitternacht, vom 
Priester wird das Opfer der Messe dargebracht; es beugen sich 
die Kniee, es beugt sich jedes Herz, Gebet in heil’ger Stunde steigt 
brünstig himmelwärts. 
5. Da Öffnen sich die Pforten, es tritt ein Mann herein, es 
hüllt die starken Glieder ein Büsserhemde ein; — er schreitet 
auf den Kaiser, er wirft sich vor ihm hin, die Knie er ihm um¬ 
fasset mit tief gebeugtem Sinn. 
6. „0 Bruder, meine Fehle, sie lasten schwer auf mir; hier 
liege ich zu Füssen, Verzeihung flehend, dir; was ich mit Blut 
gesündigt, die Gnade macht es rein, vergib, o strenger Kaiser, 
vergib, du Bruder mein!“ 
7. Doch strenge blickt der Kaiser den stind’gen Bruder an: 
„Zweimal hab’ ich vergeben, nicht fürder mehr fortan; die Acht 
ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt, nach dreier Tage Wechsel, 
da fällt dein schuldig Haupt!“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.