\35
„Seid doch gescheit!“ sagte Mutter Sonne. „Wie geht
denn das! Ihr würdet ja doch gleich alles wieder auftrocknen,
was der Regen naß gemacht hat, und dann würde der Regen
ja gar nichts nützen.“
Das sahen die Sonnenstrahlen nun freilich ein. Aber zu¬
frieden gaben sie sich doch nicht damit. Sie dachten es sich
doch zu schön, einmal mit den Regentropfen zusammen auf
die Erde hinunter zu können.
Sie kannten sich ja überhaupt noch nicht einmal ordentlich,
die Regentropfen und die Sonnenstrahlen. Auf der Erde
durften sie nicht zusammen sein, und oben am Himmel, da
waren die kleinen Regentropfen ja immer in den dicken Wolken
eingeschlossen.
3. Wahrhaftig — viele von den Sonnenstrahlen wußten
überhaupt gar nicht, wie die Regentropfen aussahen.
„Haben sie auch so schöne, goldne Kleider an wie wir?“
fragten sie.
„I bewahre, — sie haben überhaupt keine Kleider an,
weder goldne, noch grüne, noch rote. Sie haben überhaupt
keine Farbe — es sind eben nur Wassertropfen.“
Die Sonnenstrahlen, die das sagten, hatten einmal kurz,
nachdem es geregnet hatte, auf die Erde geschienen, und da
hatten sie noch ein paar Tropfen von den Bäumen fallen
sehen.
„Keine Farbe? Wie langweilig!“ meinten die anderen.
„Wassertropfen — dann sehen sie wohl so ähnlich aus wie
Tautropfen?“
„Ja, ja — wie Tautropfen, ganz richtig.“
„Oh, oh!“ rief da ein schöner, goldener Sonnenstrahl —-
„Tautropfen, die kenn' ich! Aber die sind nicht immer ohne
Farbe. Gestern morgen, als ich auf die Wiese schien, da
hing fast an jedem Grashalm ein solches Tautröpfchen. Die
blinkten so hell, und das gefiel mir so gut, — und da ging
ich zu jedem einzelnen hin und betrachtete es mir. Und
denkt euch! als mein goldenes Strahlenkleid die Tröpfchen
berührte, da schillerten sie auf einmal in den schönsten Farben:
rot, orange, gelb-grün-blau-lila — es war ganz herrlich, sag’
ich euch.“
4. Da waren die Sonnenstrahlen alle sehr erstaunt. Und
einer von ihnen, ein ganz besonders kluger, der rief: „Ei,